(pri) Es ist gewiss ärgerlich, wenn ein renitenter Spitzenbeamter statt der fälligen Entlassung eine Beförderung bekommt – und dazu noch eine üppige finanzielle Dotation zu Lasten des Sozialstaats. Noch ärgerlicher ist es, wenn durch eine solche, eigentlich zweitrangige Personalie, das Regierungshandeln insgesamt Schaden nimmt, indem das Vertrauen der Koalitionspartner zueinander schwindet – und damit auch die Fähigkeit der Regierung, die wirklichen Probleme des Landes anzugehen. Doch das tatsächlich Alarmierende dieses Vorgangs ist der daraus erkennbare Vormarsch rechten Denkens bis in höchste Regierungsspitzen und die Unfähigkeit, diesen Vormarsch zu stoppen – ein Menetekel, das in die nicht allzu ferne Vergangenheit dieses Landes verweist.
Im Mittelpunkt dieser bedrohlichen Entwicklung steht derzeit der Noch-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, doch er ist nur die Spitze des Eisbergs. Tatsächlich reicht die Einflussnahme rechter, rechtsradikaler, gar rechtsextremer Kreise viel weiter. Sie haben sich im Staat bereits so weit etabliert, dass gegen sie Politik offensichtlich nicht mehr gemacht werden kann. Der Umgang mit den Ereignissen in Chemnitz zeigt das mit verstörender Deutlichkeit.
Der tragische Tod eines Deutschen mit kubanischen Wurzeln, der bis heute nicht aufgeklärt ist, wurde von rechtsextremen Aktivisten sofort zur Tat von Flüchtlingen erklärt und – einmal mehr – zur Mobilisierung niederster Instinkte gegen diese genutzt. Der Staat, von dem jeder Bürger in einer solchen Situation Schutz erwarten kann, erwies sich als überfordert. Auch deshalb beherrschte der Mob die Straße und ging gegen jeden vor, der in sein rassistisches Feindbild passte. Dagegen, so sollte man meinen, müsste eine Landesregierung. die für solches Versagen die Verantwortung trägt, nun wenigstens entschlossen vorgehen, doch weit gefehlt. Entgegen den Tatsachen, die er in den Lageberichten der eigenen Polizei hätte nachlesen können, erklärte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer ganz in der Tradition der von Donald Trump erfundenen »alternativen Fakten«: »Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab keine Pogrome.«
Dies war nicht nur ein erschrockenes Leugnen, das der Peinlichkeit des Geschehens entsprang, sondern Strategie. Rechte, die auch in der sächsischen Landesregierung seit langem den Ton angeben und das mit der Prioritätensetzung auf den Kampf gegen linken Extremismus immer wieder neu beweisen, durften nicht zum Problem gemacht werden. Vielmehr musste der Fokus auch hier auf die Linke gerichtet werden, was dann unverzüglich Hans-Georg Maaßen übernahm. Ohne jede Prüfung zog er die Authentizität des Videos einer der zahlreichen Hetzjagden in Chemnitz in Zweifel und nannte es sogar eine »gezielte Falschinformation …, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken«.
Das konnte er – wie sich nun zeigt – ungestraft, eher noch belohnt tun, wie er schon in der Vergangenheit wiederholt seine offensichtliche Sympathie mit der AfD kund tat und auch sonst durch öffentliche Erklärungen wie interne Respektlosigkeiten die Regierungspolitik wiederholt konterkarierte. Dazu kam das Versagen im Kampf gegen den Rechtsterrorismus der NSU und die dessen nachfolgende Vertuschung, die sich im Fall Amri wiederholte.
Für seinen Dienstherren Horst Seehofer zählt das alles nicht; er schätzt ihn gerade wegen dieses Rechtsdralls, entspricht er doch weitgehend dem eigenen Denken. Folgerichtig bezeichnete er ihn als »kompetenten und integeren Mitarbeiter«; als solchen habe er ihn immer erlebt. Maaßen wird als Staatssekretär künftig für die innere Sicherheit im Lande zuständig sein. Man kann sich vorstellen, wo er da Probleme sieht und wo nicht, AfD, Pegida und rechtsextreme Gruppierungen dürften von ihm nichts zu befürchten haben – und vom Innenminister selbst auch nicht.
Doch nicht nur Seehofer und Maaßen sind das Problem. In der Union gibt es viele, die voll hinter diesem Rechtskurs stehen. So verteidigte der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster, immerhin Vorsitzender der für die Kontrolle der Geheimdienste zuständigen Kommission des Bundestages, Maaßen wiederholt vehement und findet die Kritik an ihm bis heute »unangemessen«. Sein Parteifreund Patrick Sensburg, der einst als Leiter des NSA-Untersuchungsausschusses alles tat, um die Kooperation bundesdeutscher Stellen mit den USA-Geheimdiensten zu verschleiern, behauptete wider zahlreiche Indizien, es gebe »kein Näheverhältnis von Herrn Maaßen zur AfD« und bescheinigte ihm eine »exzellente fachliche Arbeit«.
Andere wie der CDU-Nachwuchspolitiker Philipp Amthor, Mitglied im Innenausschuss des Bundestages, unterstützten sogar ausdrücklich Maaßen, der als »Verfassungsschutzpräsident dann auch auf eine vermeintliche Desinformationskampagne aus dem linksextremistischen Spektrum hinweist. Das muss legitim sein, und man muss offen mit beiden Augen gegen jede Form von Extremismus kämpfen können«. Damit wiederholt er wider besseren Wissens Maaßens Unterstellungen und sieht das eigentliche Problem auf der Linken: »Die Wortmeldungen belegen eindrucksvoll, wie weit sich manche linke Funktionäre aus der Lebensrealität normaler Menschen entfernt haben.«
Es ist diese selbstverständliche Verbreitung rechtsradikalen Gedankenguts, das den Fall Maaßen zum Menetekel macht. Schritt für Schritt wird versucht, den öffentlichen Diskurs in diese Richtung zu lenken, damit sich der Protest gegen die wachsende soziale Verunsicherung im Land nicht gegen ihre wahren Verursacher richtet, sondern derzeit gegen Flüchtende aus aller Welt und ihre Unterstützer, die unisono als Linke abgestempelt werden – und damit als die eigentliche Gefahr. Von rechts, das wissen spätestens seit der Kollaboration der deutschen Wirtschaft mit dem Hitler-Faschismus jene, die an diesem ideologischen roll-back beteiligt sind, müssen sie in sozialen Auseinandersetzungen nicht mit Widerstand rechnen. Daher suchen sie dort den Schulterschluss – und beweisen damit nur, dass sie aus der Geschichte nichts gelernt haben.