(pri) Am Rücktritt von Andrea Nahles vom Vorsitz der SPD und der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion überrascht allenfalls der Zeitpunkt, nicht aber das Ereignis selbst. Dieses Ende war bereits absehbar, als die einst radikale Juso-Vorsitzende und jetzt gehorsame Exekutorin des rechten Flügels ihrer Partei dieser 2018 gegen massiven Widerstand eine erneute »große« Koalition aufnötigte. Dass es nun so schnell ging, bestätigt nur den freien Fall der SPD.
Andrea Nahles war und ist wie andere Führungsfiguren der SPD ideologisch bereits so sehr auf eine Unabänderlichkeit des Kapitalismus festgelegt, dass sie Alternativen nicht mehr denken können – und schon gar nicht dafür arbeiten. Dabei war die Sozialdemokratie einst als Gegenentwurf zu eben diesem Kapitalismus angetreten und hatte allein daraus ihre Daseinsberechtigung bezogen. Und über alle bisherigen Häutungen hinweg hielten deswegen ihre Anhänger, ursprünglich die Verlierer des kapitalistischen Gesellschaftsentwurfs, der SPD lange die Treue – einfach weil sie keinen anderen potenten Vertreter ihrer Interessen fanden.
Damit ist es seit der Agenda-Politik der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder vorbei. Denn der »Genosse der Bosse« unterwarf die einstige Arbeiterpartei den Gesetzen einer nach dem Zusammenbruch des Sozialismus entfesselten Marktwirtschaft, in der das bis dahin durchaus noch ernst genommene Wörtchen »sozial« zum hohlen Beiwerk verkam. Und seine Nachfolger zementierten diesen Kurs, indem sie die SPD mit dem Eintritt in die große Koalition 2005 und seither noch zweimal auch politisch dem Kapital und seiner stärksten Partei, der CDU/CSU, unterwarfen.
Die Folgen waren dramatisch und zugleich abzusehen. Hatte die SPD 2005 noch 34,2 Prozent der Wählerstimmen erreicht, so begann mit der von Franz Müntefering und Frank-Walter Steinmeier betriebenen Kettung an der Union der Niedergang. Steinmeier erreichte als Kanzlerkandidat 2009 nur noch 23 Prozent, und die Union konnte eine Regierung mit dert FDP bilden. Die Chance einer Neuorientierung nahm die SPD dennoch nicht wahr, wesentlich auf Betreiben Steinmeiers, der sofort nach seiner Wahlniederlage das Amt des Fraktionsvorsitzenden und damit des Oppositionsführers beanspruchte und vier Jahre später die SPD trotz des nur mageren Zugewinns von 2,7 Prozentpunkten bei der Bundestagswahl 2013 wieder in eine Koalition mit CDU und CSU führte. Steinmeier war es schließlich auch, der als Bundespräsident seine Partei 2017/18 drängte, trotz weiteren Rückgangs des Wählerzuspruchs auf 20,5 Prozent erneut in die Koalition mit der Union einzutreten – aus »staatspolitischer Verantwortung«. Und er fand willige Vollstrecker.
Der fortgesetzte Absturz der SPD jüngst bei den Europawahlen war das direkte Ergebnis einer solchen prinzipienlosen Politik. Angesichts des unübersehbaren Rechtskurses der Unionsdparteien sahen wohl auch immer mehr Befürworter des schwarz-roten Bündnisses wenig Chancen für die Durchsetzung eigener Positionen. Ungeachtet dessen versuchen aber die rechten Kräfte in der Partei, diese auf Fortsetzung der Koalition bis 2021 festzulegen – mit Erneuerung des mehrfach gebrochenen Versprechens, dann sei damit aber endgültig Schluss. In Mitgliedschaft wie Wählerschaft der SPD verfängt das jedoch schon lange nicht mehr. Dort erwartet die Mehrheit eine konsequente Umkehr und einen Kurs zugunsten der sozialen Interessen der Menschen. Würde sich die Partei dazu entschließen – das zeigte der kurzzeitige Hype für Martin Schulz, als er solches vor der Wahl 2017 versprach – wäre Vertrauen vielleicht noch einmal zurückzugewinnen. Wenn die Sozialdemokratie dafür aber nicht mehr die Kraft findet, ist ihr endgültiger Fall in die Bedeutungslosigkeit wohl unaufhaltsam.