(pri) Gestern ist in Birmingham Noël Martin gestorben. Er wurde 60 Jahre alt – und mehr als 24 davon hat er als verkrüppeltes Opfer deutschen Rassismus verbracht, eines Rassismus, der auch heute noch gern angezweifelt, verharmlost, geleugnet wird. Von den Tätern natürlich, aber auch vielen anderen, die zu solchen Taten zwar nicht fähig wären, dennoch aber Rassisten sind, indem sie Ausflüchte, Entschuldigungen für die Täter finden oder sich gar ihrer eigenen, »alternativen« Tatsachen zusammenzimmern, nur um die Mär vom unbefleckten weißen Herrenmenschen aufrechtzuerhalten, für den sie sich selbst halten.
Die aktuelle Debatte um Rassismus und seine hiesigen Träger vom einfachen Pöbler im Supermarkt über den Polizisten im Streifendienst bis hin zum »differenzierenden« Politiker zeigt, dass sich diesbezüglich seit dem Anschlag des 16. Juni 1996 auf Noël Martin im brandenburgischen Mahlow nichts Wesentliches geändert hat. Das bedeutet nicht, alle Bürger unseres Landes einem Generalverdacht auszusetzen, aber allein, dass die Rassismus-Diskussion unvermindert anhält, verrät viel über die latente Distanz zum Fremden hierzulande, über die Schwierigkeit, Anderssein nicht nur auszuhalten, sondern als Selbstverständlichkeit zu akzeptieren.
Der Jamaikaner Noël Martin hat das von seinen ersten Lebenstagen an erfahren und in einem erschütterndem Buch beschrieben. Ihn aber traf der Rassismus besonders hart – in einem Land, dem es noch immer schwer fällt, Lehren aus der eigenen schrecklichen Vergangenheit zu ziehen. Schlimmer noch – in dem heute wieder Leute bis ins Parlament hinein diese Vergangenheit relativieren und sogar aufzuwerten versuchen und damit in Kauf nehmen, jenem Rechtsextremismus, der rassistische Mordtaten erst ermöglicht, noch die Rechtfertigung zu liefern.
Gerade weil das so ist, muss die Erinnerung an die Opfer des Rassismus wach gehalten werden. Noel Martin hat 24 Jahre lang im Rollstuhl dafür gekämpft – nicht nur für sich, sondern die vielen Tausende, die weltweit Opfer wie er wurden und noch immer werden.