(pri) Im Amt ist die neue Bundesregierung noch nicht, aber sie steckt schon in ihrer ersten Krise. Das Corona-Virus nahm erwartungsgemäß keinerlei Rücksicht auf ausgeklügelte Terminplanungen der künftigen Koalitionäre, sondern konfrontiert sie mit einer harten Realität, die weder durch wohlabgewogene Kompromisse noch durch das Ausklammern und Aufschieben kontroverser Positionen bewältigt werden kann, sondern nur durch schnelles und zielführendes Handeln. Da aber erweist sich das Ampelbündnis bislang als ebenso wenig effizient wie die noch amtierende Regierung.
Was kein Wunder ist, denn zum einen übernahm sie von der abgewählten Administration ein schweres Erbe. In den inzwischen fast zwei Jahren Pandemie fand die schon lange nicht mehr große Koalition nie ein Mittel, mit dieser Herausforderung fertig zu werden. Sie war darauf weder sachlich ausreichend vorbereitet noch mental in der Lage, rechtzeitig die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Nicht unwesentlich dazu beigetragen hat auch die Unterwürfigkeit des Robert-Koch-Instituts gegenüber den Vorgaben der Politik, durch die nicht nur auf Vorkehrungen schon vor Ausbruch der Pandemie verzichtet wurde, sondern auch danach notwendige Maßnahmen offensichtlich nur entsprechend den unzulänglichen Möglichkeiten ihrer Realisierung – Beispiel Schutzmasken – empfohlen wurden.
Covid-19 hat die Untauglichkeit des von Angela Merkel zum Wesen ihrer Regierungsmethode erklärten Fahrens auf Sicht geradezu exemplarisch vorgeführt, denn zum notwendigen vorausschauendem Handeln erwies sie sich in der gesamten Krise bis heute als unfähig. Dazu kam, dass auch als notwendig erkannte Maßnahmen unzureichend auf den Weg gebracht wurden. Noch immer sind Schulzimmer nicht flächendeckend mit Entlüftungsanlagen ausgestattet. Und Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeheimen warten darauf, dass außer warmen Worten auch etwas für zumutbare Arbeitsbedingungen und eine angemessene Entlohnung getan wird; sie stehen gegenwärtig im Streik für ihre Forderungen, aber viele verließen inzwischen den undankbaren Job, so dass es zum Beispiel heute 4000 Intensivbetten weniger gibt.
Angela Merkel beschränkte sich darauf, Forderungen an andere zu richten, vor allem die Bevölkerung. Sie hatte mit dem Kapitel Regieren wohl schon abgeschlossen und begab sich auf eine Abschiedstour, ihre Minister beschäftigten sich mehr mit dem nach der Wahlniederlage drohenden Karriereknick und ließen den Dingen ihren Lauf.
An dieser Entwicklung war zum anderen aber auch ihr Koalitionspartner SPD beteiligt, was diesen jetzt nicht gerade zum Garanten eines entschlossenen Umsteuerns macht. Und schließlich fehlt es in dem neuen Bündnis bei der FDP ebenfalls an einer klaren Linie. Zwar hat diese richtigerweise darauf gedrungen, die Pandemiebewältigung auf dem Verordnungswege zu beenden und damit eins ihrer das gute Wahlergebnis wesentlich mitbegründenden Versprechen erfüllt. Doch der Wert dieser Umorientierung liegt weniger in den Debatten der Parlamente in Bund und Ländern, die mit ihren gegenseitigen Schuldzuweisungen zumeist auch nicht gerade ein Ruhmesblatt waren und sind, sondern dass die Verantwortung nicht mehr so einfach nach Gutdünken von oben nach unten delegiert werden kann. Vielmehr müssen vor Ort konkrete Beschlüsse gefasst und umgesetzt werden, woran es jedoch nach wie vor mangelt. Und da mauert eben auch die FDP, die offenbar glaubt, das Virus lasse sich mit ihrem egoistischen Dogma, der Staat habe hinter der freien Entscheidung des einzelnen zurückzustehen, bannen.
Vor allem ihres Einspruchs wegen wird ein gravierender Fehler fortgesetzt: Man konnte sich nicht dazu entschließen, eine allgemeine Impfpflicht auf den Weg zu bringen, obwohl immer mehr Virologen und Mediziner darin die einzige Chance sehen, der Corona-Pandemie Herr zu werden. Tatsächlich hätte eine solche Grundsatzentscheidung schon zu Beginn des Infektionsgeschehen getroffen und im Gesetz verankert werden müssen – obwohl oder gerade weil es noch keinen Impfstoff gab. Dies hätte die Diskussion versachlicht und zugleich ermöglicht, die juristischen und praktischen Probleme gründlich zu erörtern und eine rechtskonforme Lösung zu finden. Die ausufernden und polarisierenden Debatten der letzten Wochen wären damit weitgehend vermieden worden. Man kann sogar annehmen, dass eine solch frühzeitige Festlegung auch psychologisch Wirkung hinsichtlich der Impfbereitschaft gezeigt hätte – mit der Folge weitaus höherer Immunisierung der Bevölkerung schon vor Einführung einer Pflicht.
Die hartnäckige Ablehnung einer allgemeinen Impfpflicht ist angesichts der beinahe 100 000 Todesopfer allein in Deutschland nicht mehr zu verstehen und zeugt allenfalls von der Unfähigkeit der Politik, eigene Fehler einzuräumen (siehe die Alternativlosigkeit der Kanzlerin hinsichtlich einer Impfpflicht oder das fast peinliche Bestehen von Gesundheitsminister Spahn darauf, eigentlich nichts falsch gemacht zu haben), nicht aber von verantwortungsbewusstem und stringentem Handeln. Einerseits wurden und werden Impfgegner immer dann, wenn sie für ihre Überzeugung auf die Straße gehen, vorschnell unisono zu Rechtsextremen erklärt und stigmatisiert; andrerseits erfahren die gleichen Leute ein unerklärliches Verständnis für ihre Impfverweigerung, obwohl diese – anders als in der Regel die Beteiligung an einer Demonstration – unmittelbar die körperliche Unversehrtheit ihrer Mitmenschen zu beeinträchtigen in der Lage ist.
Während man hinter die Annahme, allein eine Impfung richte sich gegen die körperliche Unversehrtheit eines Menschen, einige Fragezeichen setzen kann, ist sie doch eine medizinische Maßnahme neben vielen anderen, die genau auf das Gegenteil zielen, dürfte das Risiko des Kontaktes eines Ungeimpften mit Angehörigen einer Risikogruppe, zum Beispiel in einem Altersheim, tatsächlich die körperliche Versehrtheit der Vulnerablen provozieren, zumal letztere keinerlei Wahlmöglichkeit haben, sondern diesem Risiko schutzlos ausgesetzt sind. Die Folgen: Fast zwei Drittel der Corona-Toten sterben in Pflegeheimen.
Es sind die Toten jener Politiker, die weniger sachgerecht als mit Blick auf Wahlerfolg, Karrieresicherung oder einfach aus Unfähigkeit und Bequemlichkeit Notwendiges unterlassen und die Pandemiebekämpfung qua Ladenschließung und Ausgangssperre den Bürgern aufgebürdet haben. Kritik an solchem Versagen haben sie oftmals diffamiert, gar kriminalisiert, wobei keine Partei eine Ausnahme machte – auch die Linke nicht, deren jüngste Wahlniederlage auch darin ihre Ursache hat. Beim jüngsten Politbarometer fand nur ein Prozent der Bevölkerung, dass es beim Thema Corona von der Linkspartei gut vertreten wird.
Inzwischen setzt sich langsam, aber sicher die Auffassung durch, dass ohne eine allgemeine Impfpflicht das Virus Covid-19 nicht zu beherrschen ist. Zwar hat diese Maßnahme keine sofortige Wirkung, gerade wegen der bisherigen Versäumnisse, aber auch weil sie wohl erst in einer fünften Welle erkennbar greift. Doch so weit können viele Politiker offenbar nicht denken, wie gerade Friedrich Merz und Jens Spahn beweisen, die mit diesem Argument die Impfpflicht ablehnen. Sie demonstrieren, wie sehr die Merkelsche Politik, nur von heute bis morgen zu denken, in der Union inzwischen um sich gegriffen hat. Und nicht nur dort, denn auch in anderen Parteien gibt es notorische Impfgegner, denen allerdings inzwischen angesichts der Lage die Argumente ausgehen.
Das eklatante Politikversagen führt unser Land in einen neuen, länger anhaltenden Lockdown. Wieder einmal müssen die Bürger für die Versäumnisse der Regierenden aufkommen, auch jene, die sich haben impfen lassen oder genesen sind. Dass ihnen das jedoch für ihre Lebensführung wenig – und demnächst vielleicht gar nichts mehr – nützt, schafft nicht gerade einen Anreiz für Ungeimpfte, es ihnen nachzutun. Nicht zuletzt auch deshalb ist die Impfpflicht unumgänglich geworden.
Was bleibt, ist die Prognose, dass dass es auch in diesem Jahr ein sehr stilles Weihnachtsfest geben wird. Jenseits allen Sarkasmus ist das vielleicht noch die beste Nachricht dieser Tage.