(pri) Vor den Vätern sterben die Kinder – so ließe sich mit einem berühmten Buchtitel Thomas Braschs die Nachricht kommentieren, dass Hans-Christian Ströbele vergangenen Montag im Alter von 83 Jahren gestorben ist. Denn die Ideen, mit denen der junge Rechtsanwalt einst antrat und zu einem der Gründer der Grünen Partei wurde, sind in dieser schon lange tot.
Nichts von dem, was er vertrat – weder außenpolitisch noch im Kampf um die Erhaltung der Lebensgrundlagen dieser Erde, nicht seine unverrückbar linke Überzeugung noch der Glaube an ein wirklich alternatives Zeitungsprojekt, die »taz«, an der er mitwirkte, ist geblieben. »Wir wollten keine Partei sein. Und heutzutage unterscheiden sich die Grünen in nichts von den anderen Abgeordneten, noch nicht einmal in der Kleidung«, beklagte er sich in einem seiner letzten Interviews. Ungeachtet aller zu erwartenden pflichtgemäßen Lobesworte an seinem Grabe war Ströbele für die Grünen zuletzt nur noch eine unerwünschte Erinnerung an längst vergangene Zeiten der Hoffnung, des Aufbruchs und des Kampfes zur »Rettung der Welt«, einer zur Wahlkampffloskel verkommenen Phrase.
Nach der Aufdeckung des CDU-Spendenskandals Ende der 1990-Jahre war Ströbele Obmann der Bündnisgrünen im Untersuchungsausschuss des Bundestages und als solcher einer der hartnäckigsten Wahrheitssucher. Damals entstand nachfolgender Text über seine Arbeit, seine Antriebe, seine Erfolge wie Niederlagen, vor allem aber die Entschlossenheit, sich von seinen Überzeugungen nicht abbringen zu lassen, sondern für sie bis zum Ende zu kämpfen.
Die unangenehmsten Fragen kommen von links
Immer wenn der Grüne Hans-Christian Ströbele fragt, klappen bei der Union die Messer auf
Viele halten die bisherige Arbeit des Untersuchungsausschusses des Bundestages zum Spendenskandal der CDU für weitgehend erfolglos. Hans-Christian Ströbele, Obmann von Bündnis 90/Die Grünen, kann hingegen – nicht zuletzt durch eigenes Mühen – Gegenteiliges belegen.
Wenn Ströbele fragt, beugt er sich weit vor zum Zeugentisch, dem er auf der linken Seite am nächsten sitzt. Er blickt aufmerksam über seine kleine Brille, fixiert sein Gegenüber, denn nichts soll ihm entgehen: keine Regung, keine Unsicherheit, keine Schwäche. Am 13. April hatte er den gerade aus dem Amt geschiedenen Wolfgang Schäuble im Visier. »Haben Sie«, fragte er mit Blick auf eine Darstellung des einstigen Managers Eberhard von Brauchitsch zur Flick-Affäre der 80er Jahre, »ihm wirklich damals gesagt, er müsse sich nicht an alles erinnern?« Schäuble weicht aus: »Ich erklärte ihm, dass er als Beschuldigter Rechte hat, die er wahrnehmen sollte.« »Haben Sie ihm empfohlen, sich nicht korrekt zu ver halten?« Ströbele lässt nicht locker, und Schäuble laviert: »Ich habe alles gesagt. Ich muss das nicht kommentieren.« Wieder insistiert der Grüne: »Wollten Sie ihn zu unvollständigen Aussagen veranlassen?« »Ich habe meine Erinnerung vollständig wiedergegeben«, sagt Schäuble jetzt und blickt hilfesuchend zum Vorsitzenden: »Bitte nehmen Sie mich vor diesen Fragen in Schutz!«
Indizienketten und Überraschungscoups
Ströbele ist Rechtsanwalt, seit 33 Jahren Strafverteidiger. Er weiß, wie man der Wahrheit auf die Schliche kommen kann. »Zeugen«, so sagt er, »helfen da oft wenig, und am wenigsten Kronzeugen. Es sind die Indizien, die man allmählich aus ihren Aussagen zusammenträgt. Dazu aber muss man etwas entwickeln, Schritt für Schritt vorgehen. Und nicht nur einen Fragenkatalog abarbeiten.« Er bedauert, dass er – als Vertreter einer kleinen Fraktion – erst ziemlich zum Schluss an der Reihe ist und nur eine knappe Redezeit erhält. »Da ist vieles gewissermaßen schon >zerfragt<, und man kann kaum etwas vertiefen.«
Dennoch gelingt es ihm immer wieder, Mosaiksteine für Indizienketten freizulegen. Er zeigt schon erarbeitete Resümees zur Frage der Panzerlieferungen nach Saudi-Arabien oder des Schreiberschen Bearhead-Projektes in Kanada. Es sind logische Reihen zum Tatbestand, die sich hauptsächlich auf Unterlagen aus dem Kanzleramt, die nicht alle vernichtet wur den, auf nichtöffentliche Erkenntnisse aus Ermittlungsakten stützen, aber auch auf Recherchenergebnisse der Medien. Durch Zeugenaussagen versucht er sie zu ergänzen – und oft erschließt sich weder dem Zeugen noch dem Zuhörer der Sinn. So als er Kohls Sekretärin Juliane Weber unvermittelt nach einem kürzlichen Treffen auf dem Flughafen Schönefeld fragte, das sie vehement abstritt. »Ich habe zuverlässige Informationen«, sagt er dazu, »und musste nachfragen. Die Sache ist auch noch nicht zu Ende.«
Oft wünscht er sich, dass der Ausschuss schneller und entschlossener agiert. »Hätten wir schon im Januar mit der Ar beit anfangen können, als bei der CDU noch alles wild durcheinanderlief, wäre bestimmt viel mehr herausgekommen.« Für ihn verläuft die Arbeit zu schwerfällig, auch wenn inzwischen die Abstimmung mit der SPD besser geworden ist als anfangs: »wir ziehen jetzt am gleichen Strang.«
Doch nicht nur Ströbeles Arbeitsmethode ist es, die vor allem die CDU/CSU-Abgeordneten im Ausschuss regelmäßig dazu bringt, seine Frageserien durch hasserfüllte Zwischenrufe zu stören, auf ihn wie der sprichwörtliche Stier auf ein rotes Tuch zu reagieren. Als »Vorbestrafter«, als »Terrorist«, als »Ehrabschneider«, wie kürzlich im Bundestag, wird er dann tituliert. Damit spielt die Union auf seine Tätigkeit als Verteidiger von Häftlingen der »Rote Armee Fraktion« (RAF) in den 70er Jahren an. Damals hatte er sich auch außerhalb des Gerichtssaals für seine Mandanten eingesetzt, Geld für sie gesammelt, ihren Hungerstreik unterstützt, ihnen Lesestoff besorgt. Staatsanwaltschaft und – nach jahrelangen Prozessen – auch das Gericht betrachteten das als »Unterstützung einer terroristischen Vereinigung«. 1975 saß er drei Wochen in Untersuchungshaft, 1982 wurde er zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
»Ich stehe auch heute dazu«, sagt Ströbele. »Dass ich mich für meine Mandanten so stark engagiert habe, ist doch für einen Verteidiger nichts Ehrenrühriges.« Schalkhaft blitzt es unter seinen buschigen Augenbrauen, wenn er hinzufügt: »Auch damals habe ich schon den Rechtsstaat verteidigt – gegen Sondergesetze, gegen Abhörmaßnahmen, gegen staatliche Einflüsse auf die Justiz.«
Einflussreicher Außenseiter
Heute sieht sich Ströbele in der gleichen Rolle – und gerade das bringt seine Gegner so auf. »Gerade von Ihnen lasse ich mich nicht über den Rechtsstaat belehren«, hielt ihm Helmut Kohl erbost vor. Und Schäuble erklärte gar, dass seine Lüge im Bundestag, außer einem Gespräch sei mit Schreiber nichts gewesen, von seiner Abneigung gegen den Zwischenrufer diktiert wurde. »Mit oder ohne Koffer?« hatte Ströbele in den Bericht des damaligen CDU-Vorsitzenden über ein Treffen mit dem Waffenlobbyisten gefragt und ein »Ohne Koffer …« zur Antwort erhalten. »Vielleicht war mir bewusst, dass der Zwischenrufer vorbestraft ist«, erklärte Schäuble später den Black-out, der der Anfang vom Ende seiner Parteikarriere war.
Solche Erfolge genießt der Grüne, der in seiner Partei inzwischen als Außenseiter gilt, gleichwohl aber noch beträchtlichen Einfluss ausübt. Nach dem Abschied der Fundis und der Einbindung anderer als links geltender Grüner wie Trittin in die Regierungsdisziplin gilt Ströbele als letzter Vertreter der Parteilinken. Zugleich ist er Realist und weiß um seine begrenzten Möglichkeiten. Dennoch setzt er immer wieder Achtungszeichen, mobilisierte die Kriegsgegner der Partei, verhinderte die Aufgabe der Trennung von Amt und Mandat, sorgt dafür, dass die Abstimmungsmaschine der Realos nicht allzu störungsfrei läuft. Dabei ist er nicht gegen die Regierungsbeteiligung, wünschte sich nur, dass mehr daraus gemacht wird und man seine Prinzipien nicht verrät. 1989 hatte er die Berliner Alternative Liste in die Koalition mit der SPD geführt, sie aber fast zwei Jahre später ebenso konsequent wieder verlassen, als mit der Räumung besetzter Häuser in der Mainzer Straße Fragen des grünen Gründungskonsenses tangiert wurden.
Der heute 61-jährige Bürgersohn ist auch einer der wenigen Grünen, die sich noch am Marxismus orientieren. Gerade der CDU-Spendenskandal bestätigt für ihn die banalen Mechanismen kapitalistischer Machtausübung. »Im Augenblick wird der Beweis erbracht, dass sich alles erfüllt, was Marx über Politik und Wirtschaft vorhergesagt hat«, sagte er kürzlich in einem Interview. Für ihn waren die Studentenjahre in Berlin, die ihn mit Rudi Dutschke und der außerparlamentarischen Opposition der 60er Jahre zusammenführten, Lehrzeit, die ihn bis heute prägt.
In der Wiege hatte ihm niemand eine solche Entwicklung gesungen. Er war in Westfalen aufgewachsen, orientierte sich in jungen Jahren an der »Welt«, war so eifrig bei der Bundeswehr, dass er mit einer Schießauszeichnung zurück kam und betätigte sich noch in Berlin als Fluchthelfer. Nach dem Studium aber war er Mitbegründer des »Sozialistischen Anwaltskollektivs«, trat auch – »Marsch durch die Institutionen« – der SPD bei, die ihn allerdings 1975 ausschloss, weil er die RAF-Terroristen als seine »Genossen« bezeichnet hatte.
Die Grünen wurden Ende der 70er Jahre seine neue politische Heimat; auch diese Beziehung blieb nicht ohne Konflikte. Im ständigen Auf und Ab verlief das, was man eigentlich eine Parteikarriere kaum nennen kann. Er gehörte zu den ersten grünen Bundestagsabgeordneten, war sogar einmal Parteisprecher, musste von diesem Posten wegen scharfer Kritik an Israels Politik im Nahen Osten zurücktreten, engagierte sich dann auf der Berliner Bezirksebene, ehe er 1998 in den Bundestag zurückkehrte und dabei – wie schon 1994 – nur knapp ein Direktmandat im Bezirk Kreuzberg/Schöneberg verfehlte. Ströbele trägt noch immer bevorzugt Sandalen, Strickwesten und Windjacken; wie seine Einstellungen änderte er auch seine Lebensweise kaum. Spöttisch mag er manchmal von seiner Kanzlei in Moabit über die Spree hinweg zum Glaspalast des Innenministeriums hinüberschauen, wo sein alter Gefährte aus den Tagen der RAF-Prozesse, Otto Schily, inzwischen als Ressortchef amtiert. Und sich von ihm, der sich treu blieb, sogar ein wenig kontrollieren lassen muss – denn Ströbele sitzt für die Grünen im Parlamentsgremium zur Kontrolle der Geheimdienste.
Fanpost aus dem Osten
Der Rechtsanwalt, der zu seinem Bedauern kaum noch Mandate annehmen kann, strebt nach keinen Ämtern mehr – und das macht ihn nicht nur unabhängig, sondern gibt ihm zugleich jene heitere Gelassenheit, mit der er auch Niederlagen, nicht zuletzt in seiner Partei, erträgt. Und den Hass der Gegner. »Ich bekomme böse Briefe«, erzählt er. »Da wünscht man mich schon mal nach Auschwitz oder Birkenau.« Aber auch Ermutigungen flattern ihm auf den Tisch, so aus Ostdeutschland jüngst eine ganze Unterschriftenliste, deren Unterzeichner ihn dringend auffordern, sich nicht unterkriegen zu lassen, im Untersuchungsausschuss weiter der Wahrheit auf der Spur zu bleiben. Ströbele nickt zufrieden: »Wir wissen jetzt schon sehr viel mehr als noch im Dezember 1999 « Und lacht. »Das ist nicht sehr er freulich für die CDU « Sie wird ihn weiter fürchten müssen.
(Veröffentlicht in »Neues Deutschland« vom 19. Juli 2000)