(pri) Noch gibt es keinen umfassenden Krieg zwischen Israel und dem Iran, doch die Entwicklung läuft unausweichlich darauf zu.
Denn beide Seiten bereiten sich intensiv auf einen Waffengang vor; sowohl der iranische Angriff mit mehr als 300 Drohnen, Marschflugkörpern und Raketen als auch die Abwehraktion Israels, die 99 Prozent der Geschosse unschädlich machte, waren von beiden Seiten faktisch auch eine Übung, um die eigene Kampfkraft zu erproben und gegnerische Schwachpunkte zu erkennen – als Vorbereitung auf den unausweichlichen militärischen Konflikt.
Auslöser der neuen Eskalationsstufe im Nahen Osten war Israels Premierminister Benjamin Netanjahu, der den völkerrechtswidrigen Anschlag auf die iranische Botschaft in Damaskus in Auftrag gab, um der durch den Gaza-Krieg wachsenden internationalen Isolierung Israels entgegenzuwirken. Es ist ihm gelungen, bei der Abwehr der iranischen Attacken nicht nur die USA wieder an seine Seite zu zwingen, sondern auch einige arabische Länder in Zugzwang zu bringen. Wie es heißt, unterstützten Jordanien und wohl auch Saudi-Arabien die Amerikaner und einige ihrer NATO-Verbündeten.
Eine Überraschung ist das nicht, sehen doch diese Staaten seit langem den Iran als Bedrohung für ihre eigenen Ambitionen in der Region an. Der Iran veranlasste sie dazu, Stellung zu beziehen – auch gegenüber ihren eigenen Völkern, die statt auf Appeasementpolitik gegenüber Israel auf Solidarität mit den Palästinensern setzen. Der Iran offenbarte damit aber durchaus auch die eigene Schwäche; sie zwang wiederum ihn dazu, den Gegenschlag auf Israel streng zu begrenzen, was diesen angesichts der geringen materiellen Schäden für Israel fast zum nur symbolischen Akt macht.
Damit aber spielt Teheran den Ball ins israelischer Feld zurück; an Netanjahu und seiner Regierung ist es nun, über eine weitere Eskalation zu entscheiden, bei der sie nicht mehr auf die uneingeschränkte Solidarität sowohl der USA, der EU und vor allem arabischer Regierungen zählen können. Netanjahu und seine rechtsextremen Koalitionspartner möchten das gern ignorieren, vor allem aus eigensüchtigen Interessen, doch es gibt in Politik wie Militär Israels zunehmend auch andere Stimmen. Sie fürchten, mit einer überzogenen Antwort auf den iranischen Angriff den angestrebten Schulterschluss mit Israels Unterstützern wieder aufs Spiel zu setzen.
Für derlei differenzierte Betrachtung ist allerdings weder in der Politik noch in den meisten Medien hierzulande wenig Platz. Während man über den Terroranschlag Israels gegen die iranische Botschaft in Syrien nur knapp und kommentarlos berichtete, wird der Angriff Teherans auf Israel in den Rang einer Kriegserklärung erhoben, verbunden mit Forderungen nach schärfsten Sanktionen gegen Iran bis hin zum faktischen Abbruch vor allem der wirtschaftlichen Beziehungen. Fast gewinnt man den Eindruck, die Bundesregierung sei erleichtert über das iranische Vorgehen, lenkt es doch von den Verbrechen Israels im Gazastreifen ab. Hauptsache die alten Feindbilder sind wiederhergestellt, ungeachtet der sich gegenseitig aufschaukelnden Eskalation, die am Ende nur in den großen Krieg münden kann.