Wieder einmal – wie nun schon seit 20 Jahren – orakeln die medialen, aber auch einige politische Auguren über den Niedergang der Linken, die es in dieser Zeit unbeeindruckt von allen Unkenrufen schafften, aus dem Fünf-Prozent-Ghetto, in dem sie 2002 sogar die fraktionsstarke Bundestagspräsenz verpassten, herauszukommen und jetzt stabile Wahlwerte bis hin zum zweistelligen Bereich zu erzielen. Natürlich verlief und verläuft das nicht geradlinig; es ist abhängig von der Großwetterlage, aber auch vom Binnenklima der Partei – beides war der Linken in diesem wetterwendischen Frühjahr nicht günstig.
Dass die Linkspartei aus der gegenwärtigen Wirtschafts- und Finanzkrise, die das Kapital und seine Apologeten verschuldeten, wenig Gewinn ziehen kann, ist vor allem ein grundsätzliches strukturelles Problem. Sie hat – ebenso wenig wie andere – eine überzeugende Lösung für die verfahrene Situation, aber sie steht zusätzlich in dem Ruf, mit ihrem Gegenprojekt, dem realen Sozialismus, gerade grandios gescheitert zu sein. Der Kapitalismus hat immerhin den Sozialismus niedergerungen und erscheint vielen als prinzipiell erfolgreicheres System; die Krise wird weithin als Ausnahme, als Ausrutscher verstanden, ws geheilt werden könne. Und natürlich verbreiten die Verfechter des Kapitalismus mit großem Aufwand diese Sicht der Dinge, schon seit Wochen reden sie von der »Bodenplatte« der Krise, die erreicht sei, und werben für ein nur leicht modifiziertes »Weiter so«.
Spurlos ist das auch an der Linken nicht vorübergegangen. Ohne Not mehren sich dort die Stimmen, die zwar (noch?) nicht expressis verbis, doch in der Sache dem Kapitalismus die neue Chance durchaus geben wollen – vor allem deshalb, weil es ihnen an einem überzeugenden Gegenkonzept weiterhin mangelt. So wird aus der eigenen theoretischen Schwäche, verbunden mit dem Drang, dem Lockruf der politischen Konkurrenten nachzugeben und dadurch vielleicht endlich die harten Oppositionsbänke gegen weiche Kabinettssessel eintauschen zu können, ein dünnes opportunistisches Süppchen, das den unzufriedenen Wähler kaum satt macht und deshalb möglicherweise veranlasst, seine Stimme – wie schon 2002 – in der heimischen Schrankwand liegen zu lassen.
Eine versöhnlerische Haltung gegenüber den Verhältnissen kann nicht das Konzept der Linken sein. Eine Mäßigung von Forderungen nach auskömmlichen Mindestlöhnen, der Abschaffung von Hartz IV, dem Truppenabzug aus Afghanistan wäre in dem Maße kontraproduktiv, wie dadurch die Unterscheidbarkeit zu anderen politischen Kräften, vor allem der SPD, verloren ginge. Sie macht auch deshalb keinen Sinn, weil die Linkspartei mit einer Beteiligung an Regierungen kaum rechen kann – im Bund schon gar nicht und auch nicht in den meisten Ländern. Und wenn sich doch dafür eine Chance bietet, die natürlich konsequent genutzt werden sollte, gehen dem Koalitionsverhandlungen voraus, bei denen kein Beteiligter seine Maximalforderungen durchsetzen kann. Dann wäre immer noch Zeit, weit gehende Wünsche dem Möglichen anzupassen. Vorauseilender Gehorsam gegenüber einem denkbaren Partner jedoch bringt eine Partei von vornherein in die Hinterhand. Von dort aus zu agieren gibt es für die Linke nach ihrer bisherigen Erfolgsgeschichte keinen Grund – weder taktisch noch strategisch.
Das hervorstechende Problem der politischen Linken in der vom Kapitalismus dominierten Welt scheint es zu sein, keine überzeugende Antwort auf die Krisen dieses hegemonialen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems parat zu haben. Zumindest macht es für Viele offenbar diesen Eindruck, selbst wenn sie sich von der geäußerten Kritik der Linken in weiten Teilen durchaus angesprochen fühlen. Das in der Öffentlichkeit omnipräsente Credo der neoliberalen Glaubensbewegung „There is no alternative!“ wirkt nach wie vor und läßt selbst eklatante politische Fehlentscheidungen lediglich als „Betriebsunfall“ erscheinen.
Aber damit nicht genug. Denn auch innerhalb der Linken gibt es Bedenkenträger, die lieber realistischere Forderungen an die „Kapitalherren“ richten möchten. Diese Realismus ist – wenn man sich erinnert – aber auch der SPD nicht gut bekommen. Die einstmals stolze linke Volkspartei ist nach fortgesetzten Jahren der neoliberalen Anpassungs-Reform nunmehr weder politisch links noch eine Volkspartei.