Zu neuen Büchern, die die Unfähigkeit der Deutschen belegen, tolerant mit ihrer jüngeren Geschichte umzugehen (Teil 1)
Von Rudolf Hempel
Von Stefan Heym, der vor der Wende mit Werken wie „Collin“, „Fünf Tage im Juni“, „Ahasver“, aber nach dem Anschluss auch mit seiner Alterspräsidentenrede vor dem Deutschen Bundestag einen systemübergreifenden kritischen literarisch-politischen Beitrag zur deutschenKultur leistete, wird die Vermutung verbreitet, sie, die DDR, würde wohl als „Fußnote in die Geschichte“ eingehen.
Im Jubiläumsjahr „20“ will nun die Flut der Neuerscheinungenauf dem deutschen Buchmarkt nicht abreißen, in denen – aus der Sicht von Schriftstellern, Verlegern, Politikern, Wissenschaftlern und Journalisten – der (Rück)-Blick auf eine verblichene sozialistische Republik erfolgt. Das „Fußnotenprojekt DDR“, vor zwei Jahrzehntenin der Tat – aus guten und/oder schlechtenGründen – gescheitert, hinterlässt beim Leser, der – wie die Autoren-, vorurteilsfrei nach Ursachen forscht, eine Gewissensfrage: Was bleibt? Und – was gehört, nicht nur den Deutschenaus dem Osten, zur bewahrenswerten Hinterlassenschaft?
Die Autoren eint das Bemühen – bei allen Unterschieden in Ansicht, Absicht und Vermögen, die untergegangene Republik zu verteidigen. Obvorsätzlich oder nicht: – sie wenden sich gegen die Denk-Vorgabe einer politischen Klasse, die den ahistorischenBegriff „Unrechtsstaat“ einführte. Die sich dessen Wirkung bei den (meisten) Deutschenim Westen sicher sein kann und auf seine Wirkung bei den Deutschen im Osten hofft.
Die Autoren dagegen plädieren mit ihren Texten für das Faktische. Manche hoffen auch auf den Glauben ihrer Leserschaft an die dauerhafte Wirkung einer soziale Idee. Die von Marx kommt. Wieder auferstanden ist nicht nur dessen „Kapital“. Übergreifendes verbindet: Hoffen wir gemeinsam, indem wir für Recht und Gerechtigkeit, für Augenmaß und Toleranz und also für die historische Wahrheit plädieren.
Unter dieser Prämisse erforscht der Verleger Christoph Links das Schicksal von 78 DDR-Verlagen, Ex-Funktionär Egon Krenz veröffentlicht Gefängnisnotizen. Ralph Hartmann, Autor des Bestsellers „Liquidatoren“, kommentiert die Vorgaben Unrechtstaat, Schießbefehl und marode Wirtschaft. Horst Pehnert, früher als Politiker maßgeblich für Filme zuständig, erhellt, was einst gedreht und dann nicht gezeigt werden durfte.
Der Historiker Wolfgang Wippermann tritt mit seiner neuen Streitschrift für einen gerechteren Umgang mit der DDR ein. Und schließt damit an seine Polemik gegen die umstrittenen Thesen der Ex-TV-ModeratorinEva Herman an – über positive Aspekte im Dritten Reich: Autobahn und Mutterkreuz. Schließlich brachte die Journalistin Franziska Kleiner manch schönes Fundstück zu Papier. Sie hatte in den Müllhalden der Geschichte gekramt.
Das Schicksal einer Branche
Das Schicksals-Buch war überfällig. Christoph Links, der sich als Redakteur, Rezensent und Verleger über Jahrzehnte einen Namen gemacht hat, nennt es im Untertitel „Die Privatisierung und ihre Konsequenzen“. Das klingt sachlich und in gewissem Sinne „neutral“. Was sich allerdings auf dem Buchmarkt der DDR nach der Wende wirklich abspielte, war alles andere als „neutral“. Der Autor dieses Blogbeitrages, selbst lange Zeit als Literaturredakteur einer Berliner Wochenzeitung und nach der Wende als Freier Journalist tätig, kann davon mehr als ein Lied singen.
Freilich dürfen einige objektive Faktorennicht außer acht gelassen werden, die eine Bewahrung der Verlagsbranche mit sozialistischem Anspruch wenigstens auf längere Zeit erschwerten. Dazu zähltenihr Mangel an Eigenkapital, die hohe Zahl der Beschäftigten, unklare Eigentumsverhältnisse, die geringe technische Ausstattung, die Währungsunion, fehlende Markterfahrung und eine mit der Grenzöffnungüber Nacht präsente schier übermächtigeKonkurrenz. Der damit verbundenen immensen Herausforderung würde die Mehrzahl der 78 DDR-Verlagenicht gewachsen sein.
Allerdings ist damit weder zu erklärennoch zu entschuldigen, dass in den ersten Nachwendejahren Literatur unterschiedlichster Sachgebiete – von Kinderbüchern über Bildbände bis zu Klassiker-Ausgaben deutscher und ausländischer Autoren – tonnenweise aus Buchhandlungen, Verlagen, Büchereien, Betrieben und Institutionen in Container und Tagebaue überführt und damit unersetzbares Kulturgut vernichtet wurde.
Vornehmlich nachdem Birgit Breuel als Nachfolgerin des ermordeten Detlev Rohwedder im Frühjahr 1991 die Geschäfte der Treuhand übernahm und im D-Zug-Tempo weiterführte, erfuhr die übereilte und – von Ausnahmen abgesehen – unprofessionelle Abwicklung von editorischem Vermögen auch seine staatlich Sanktion. So verschwanden durch dubiose Verkäufe Häuser von der Bildfläche, die nicht nur auf eine achtbare Vergangenheit verweisen konnten, sondern auch mit ihrem Angebot als kulturbestimmenderFaktor im Lande und über die Grenzen der Republik hinaus ausgewiesen waren. Dazu zählen, um nur einige Beispiele zu nennen, der Verlag Volk und Welt, der Buchverlag der Morgen, der Kinderbuchverlag, der Verlag der Nation. Von den „Ehemaligen“ haben bis heute weniger als ein Dutzend überlebt.
Christoph Links hat mit seiner Dissertation, von einer linken Tageszeitung zu Recht als „Ein Protokoll des Niedergangs“ bezeichnet, eine immense Recherchearbeit geleistet. Archive, Unterlagen des Börsenvereins, Gespräche mit „Zeitzeugen von der literarischen Front“ lieferten den Stoff, aus dem die Substanz eines unverzichtbaren Nachschlagewerkes wurde. Gewiss eingeflossen in das Kompendium sind aber auch seine Kontakte mit Autoren, Lektorenund Rezensenten im Umfeld des von ihm in der Wende gegründeten Verlages. Der seinen Namen trägt und mit Erfolg die Themen Politik und Zeitgeschichte auf seine Fahnen geschrieben hat.
Im Epilog der Analyse wird darauf verwiesen, dass sich die sinkende Tendenz auf dem ostdeutschen Buchmarkt auch in den Jahren 2008/2009 fortsetzt. Die Hiobsbotschaften reißen nicht ab. Sie betreffen nun den Traditionsverlag Brockhaus und den Insel Verlag, jeweils in Leipzig, partiell auch den Aufbau-Verlag. Christoph Links zieht ein bitteres, aber realistisches Resümee: „Das Zusammengehen beider deutscher Nachkriegsstaaten kann im politischen Bereich als weitgehend geglückt gelten, auf wirtschaftlichem Gebiet ist es eher missraten. Die Verlagsbranche steht dafür geradezu symptomatisch…“
Christoph Links, Das Schicksal der DDR-Verlage – Die Privatisierung und ihre Konsequenzen, Ch. Links Verlag, 352 Seiten, geb. 24,90 €, ISBN 978-3-86153-523-2Das Schicksal eines Funktionärs
Peter Hacks beschrieb vor einigen Jahren: „Diesem Land ist weggenommen worden ein schlechter Sozialismus und gegeben worden ein schlechter Kapitalismus“. Er glaube, dass die Leute lernen, dass der „schlechteste Sozialismus immer noch besser ist als der beste Kapitalismus.“ Hacks vertraut darauf, dass die Menschen lernfähig sind. Er hat Recht behalten. Überdies habendie Ostdeutschen einen großen Vorteil: Sie haben zwei gesellschaftliche Systeme erlebt. Sie können vergleichen.
Diese provokante Passage findet sich in den „Gefängnis-Notizen“. Aufgeschrieben von einem Mann mit sozialistischer „Bilderbuchkarriere“: NVA, KPdSU-Parteihochschule, Chef der Pionierorganisation, dann des FDJ-Zentralrates, Mitglied des Politbüros, erst Kronprinz, dann Honeckernachfolger in allen Ämtern. Es war eine Karriere, die in den Wirren der Wende zum Ausschluss aus der damaligen SED-PDS und nach dem Anschluss des Landes geradezu folgerichtig vor Gericht führen musste: 1997 zur Verurteilung und nach der Jahrtausendwende in die JustizVollzugsAnstalt (JVA) der Bundesrepublik. Von sechseinhalb saß Krenz vier Jahre ab. Honecker hatte die bundesdeutsche Justiz nicht belangen können. Krenz als Nachfolger repräsentierte für die bundesdeutsche Justiz in gewisser Weise stellvertretend die komplette politische Führung der damaligen DDR.
Der „Delinquent“ führt Tagebuch. Ein politischer Häftling unter Kriminellen diverser Schattierung notiert Alltägliches, Besonderes und Absurdes. Kombiniert aktuelle Vorgänge mit Rückblenden. Reflektiert auf der Basis seiner unveränderlichen Grundüberzeugung, flankiert von Erinnerungen und Dokumenten, oft höchst brisante und komplexe historische Vorgänge. Darunter solche über das Verhältnis der Bundesrepublik zu ihren früheren Gesprächspartnern, auch jene, in denen einstige Mitstreiter ein seltsames Maß an Opportunismus offenbaren.
Sein Vertrauen auf wissenschaftliche Analyse und die Forderung nach politischem Anstand kollidieren, so seine Sicht der Dinge, grundsätzlich mit dem neuen Souverän. Der mit der Logik des Siegers eine Deutungshoheit über die Geschichte für sich beansprucht. Der Autor ermöglicht dem Leser aber auch einen Rückblick hinter die politischen Kulissen von damals. Interessante Details über gravierende Kontroversen zwischen der DDR-Führung und der des „großen Bruders“ erhellen im Nachhinein, wie kompliziert das Verhältnis der Verbündeten wirklich war. Und – im Kontext dazu – welche in die Irre führenden Nebelschleier die auch von Krenz selbst mit zu verantwortende offizielle Agitation und Propaganda jahrelang über „unsere Menschen“ ausbreitete.
Egon Krenz, der einräumt, er „gehört zu den Gescheiterten“, weiß aber auch, „dass die Welt ohne Sozialismus keine Zukunft haben wird“. Gleichwohl vermeidet er Prognosen in eine von ihm erhoffte Richtung. Daran vor allem lässt sich wohl festmachen, dass auch ein Mann wie Krenz lernfähig ist. Sein neues Buch kann ebenso wie dessen Vorgänger „Herbst `89“ und „Widerworte“ insofern als Dokument der Zeitgeschichte gelten. Dem Anerkennung auch von seinen alten und neuen politischen Gegnern zu wünschen wäre.
Egon Krenz, Gefängnis-Notizen, edition ost im Verlag Das Neue Berlin, 240 Seiten, brosch. 14,90 €, ISBN 978-3-360-01801-4Das Schicksal von Legenden
Inhaltsangaben sind manchmal mehr als nur formale Angaben über die Struktur eines Buches. Auf die in fünf Kapitel gegliederten „DDR Legenden“ trifft das zu. Als Kostprobe hier einige Titel der insgesamt rund 60 Kurzbeiträge: Die Mauer; Die „marode“ Wirtschaft; Stolz auf den Aufbau Ost; Rote Socken – liederlich gestopft; Stasi-Knüppel aus dem Sack; Fürstliche Beutezüge; Feindliches Vermögen; Die Kommunisten sind schuld; Der Feldzug gegen die Abzocker.
Während die Wirtschaftskonjunktur am Boden liegt, rauchen die Schlote der Erinnerungsindustrie. Heerscharen gut bezahlter Publizisten, Fernsehjournalisten, Politikwissenschaftler, Museumspädagogen, Künstler, aber auch weniger gut bezahlter Leserbriefschreiber arbeiten an der bundesoffiziellen Darstellung von DDR-Vergangenheit. Einseitig die Sichten, unerwünscht die Abweichungen. Anderslautende Meinungen werden von den Medien kaum akzeptiert, manchmal diffamiert. Die Denunziation geht um. Sie nennt sich „Geschichtsrevisionismus“.
Hartmanns Beiträge zeichnen sich durch Kürze, Faktenreichtum und Ironie aus. Die Texte vermitteln in ihrer Gesamtheit ein dunkles Bild von einem nach wie vor zerrissenen Land, das auch durch die permanente Verkündigung einer Heilslehre von der gelungenen deutschen Einheit nicht heller wird.
Hinterfragt wird von ihm der Sinn von Kampagnen, wie die der Rückgabe vor Entschädigung, polemisiert wird gegen Einseitigkeit und Vorurteil, plädiert wird für Toleranz und Akzeptanz im Umgang mit der deutschen Geschichte. Dabei begegnen dem Leser immer wieder Namen wie Joachim Gauck, Rainer Eckert, Hubertus Knabe, Marianne Birthler, Wolfgang Clement, wie Florian Henkel von Donnersmark, Rainer Eppelmann, Ronald Pofalla, Arnold Vaatz. Sie alle eint, was Ralph Hartmann kritisiert: Die Bildung von Legenden. Die der Leser als Provokation, als Herausforderung oder auch als Bestätigung seiner vagen Vermutungen übersetzen kann.
DenRezensenten überrascht, in solch einem Kompendium auch Beiträge wie „Nachdenken über einen Vordenker“ zu finden. Hier geht es um Andrè Brie. Der zahlreiche ND-Leser erboste, weil er in einem Spiegel-Interview „über den Populismus seiner Partei und den Rückfall in bolschewistische Machtpolitik“ resümierte. Hartmann verteidigt Brie. Möchte die zahlreichenAngriffe gegen den „verdienstvollen Europaabgeordneten“ zurückweisen. Der seinerseits auf die SPD zugehen will, der bezüglich Kuba eine andere als die „offizielle“ Meinung hat, der eine Opposition gegen Oskar Lafontaine fordert, der schließlich „ein eigenes erneuertes sozialistisches Profil statt platter Rufe nach Systemüberwindung“ verlangt. Einem Vordenker zu widersprechen, sei unfassbar und abenteuerlich, schreibt Hartmann. „Es ist einfach ungehörig. So etwas tut man nicht“. Ob das Hartmann wirklich denkt?
Ralph Hartmann, DDR Legenden, Der Unrechtsstaat, der Schießbefehl und die marode Wirtschaft, edition ost im Verlag Das Neue Berlin, 224 Seiten, brosch. 14.90 €, ISBN 978-3-360-01804-5Das Schicksal einer Denunziation
Als Horst Pehnert Ende 1976 berufen wurde, hatte er als Chef der Hauptverwaltung Film beim Ministerium für Kultur zwölf Vorgänger. Pehnert war die Nummer 13. Und blieb 13 Jahre. Als Minister Hoffmanns Stellvertreter und damit als Beauftragter für die Durchsetzung der Parteilinie in der Filmpolitik. Kein leichtes Amt. Noch dazu begonnen in dem Jahr, als Wolf Biermann ausgebürgert worden war. Und nachfolgend eine Reihe von DDR-Künstlern, auch aus der Filmbranche, sich für den Liedermacher in einer Petition einsetzen.
Der Autor legt einen Rechenschaftsbericht vor. Sich selbst und der Öffentlichkeit. Der Klappentext informiert: „Freimütig gibt er Auskunft über seine Konfliktlagen, Mutproben und Momente der Feigheit vor der Macht. Und weist nach, dass die DEFA trotz zensierender Eingriffe ein großes Kapitel deutscher Filmgeschichte geschrieben hat.“
Pehnert, der beim nun schon legendären (Leipziger Studentenkabarett) Rat der Spötter, später rund zwei Jahrzehnte als Journalist der Jungen Welt seinen Zuhörern und Lesern von sich Mitteilung zu machen wusste, wählt diesmal einen bunten Info-Mix: Kein Sachbuch über Film in der DDR, sondern eigene Erinnerungen und Erfahrungen, Artikel, Reden, Zuschriften kombiniert mit Leserbriefen und einigen aufschlussreichen Künstler-Kurzporträts. Dazu eine nicht ohne Hintersinn ausgewählte Foto-Sammlung.
Mit Hilfe des Buches nachvollziehbar wird, dass – entgegen manch aktuellem Vorurteil – auch in der damaligen DDR Kunst möglich gewesen ist. Das Potential dafür war beachtlich. Regisseure wie Kurt Maetzig, Konrad Wolf, Karl Gass, Herrmann Zschoche, Rainer Simon, Günter Reisch, Frank Beyer und Heiner Carow verarbeiteten Stoffe von gesellschaftlicher Relevanz, nicht selten auch von einiger Brisanz. Schauspieler wie Erwin Geschonneck, Armin Müller-Stahl, Manfred Krug, Rolf Hoppe, Angelika Domröse, Jutta Hoffmann und Hilmar Thate zeigten künstlerisches Profil, das wohl jedem, auch internationalen Vergleich gewachsen war.
Aber es gab auch „Verluste“. Die in ihrer künstlerischen und politischen Dimension vom Autor allerdings nur ungenügend nachvollziehbar vermittelt werden. Zwar wird an „Insel der Schwäne“ sowie an „Jadup und Boel“ und deren über die Parteiinstanzen organisierte und von Zeitungen wie „Neues Deutschland“ und „JungeWelt“ exekutierte Hinrichtung erinnert. Vor dem Hintergrund der verbotenen Plenum-Filme und der namhaften Künstler, die „ihr“ Land in Richtung Westen verlassen mussten, hätte ein Mann vom Format Horst Pehnerts durchaus den Teufelskreis von Machtanspruch und Machtmissbrauch einer zuverlässigeren Analyse unterziehen können.
Als ein Silberstreif am Horizont der Pehnertschen Rücksicht auf den Film der DDR kann die Passage „Ein Briefwechsel“ gelten. Eine Ursula Z., wohnhaft in Berlin, Marchwitzastraße, äußert in einem Brief an das Ministerium für Kultur, Hauptverwaltung Film, vom 16.06.1980 ihre Empörung über den Film „Solo Sunny“ von Konrad Wolf. Dessen „Milieu sowie die Handlungsweisen der Hauptpersonen in den meistenSzenen gröblichst unserer sozialistischen Wirklichkeit widersprechen… Kein vernünftiger Mensch in unserem Land lebt so.“ Der Brief denunziert in erschreckender wie zugleich erhellender Weise seine Schöpfer, die übergroße Mehrzahl der Zuschauer und auch die Jury, die den Streifen auszeichnete. Was und wie realitätsnah Briefempfänger Pehnert darauf antwortet, das allein schon macht das Buch lesenswert.
Unbestritten: Wir haben es hier mit einer wichtigen Neuerscheinung zu tun. Die – alles in allem – aber unter ihren Möglichkeiten bleibt, der stärkerer Tiefgang zu wünschen gewesen wäre. Das Fehlen von Sach, -Literatur -und Personenregister sei hier nur am Rande erwähnt.
Dem DDR-Filmwesen einen ihm gebührenden Platz in der Erinnerungskultur unseres Landes zu geben, dazu hat Horst Pehnert nur seinen ihm möglichen Beitrag leisten können. Vielleicht ging es ihm als ehemaligem „Filmminister“ so wie Egon Krenz als Ex-SED-Chef. Beide arbeitetenviele Jahre rund um die Uhr im guten Glauben für eine gute Sache. In den historischen Beschränkungen des von ihnen maßgeblich mitgestalteten politischen Systems. Damit bewegen sich auch ihre publizistischen Nachbetrachtungen letztendlich in den gleichen Grenzen.
Horst Pehnert, Kino, Künstler und Konflikte – Filmproduktion und Filmpolitik in der DDR, Verlag Das Neue Berlin, brosch. , 224 Seiten, 12,90 €. ISBN 978-3-360-01959-2Das Schicksal falscher Gleichsetzung
Die DDR war unzweifelhaft eine Diktatur und mit Sicherheit kein Rechtsstaat. Doch ebenso wenig war sie eine totalitäre und mit dem nationalsozialistischen Unrechtsstaat zu vergleichende „zweite Diktatur“: Honecker gleich Hitler, Stasi gleich Gestapo, Bautzen gleich Buchenwald. Dies käme einer Dämonisierung der DDR gleich, die wiederum mit einer Relativierung des Dritten Reiches verbunden wäre.
Wolfgang Wippermann, Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin, ist ein streitbarer Wissenschaftler und Publizist. Was er, samt ausführlichen Anmerkungen und Literaturverzeichnis, detailgetreu zur Diskussion stellt, soll zu einem „gerechteren Umgang mit der DDR“ anregen. In seine tiefgründigen, von strategischem Gestus geprägten Überlegungen bezieht er auch „Historiker-Kollegen“ wie Ernst Nolte, Jürgen Habermas, Hermann Weber und Eberhard Jäckel ein. Wissenschaftler, die in einer Art nachgelagertem Historikerstreit die indirekte Relativierung des Dritten Reiches durch die Dämonisierung der DDR entweder zustimmend befördern (Nolte), schweigend tolerieren (Habermas) oder scharf ablehnen (Weber, Jäckel).
Wippermann selbst zählt zu denen, die eine Gleichsetzung zweier historisch aufeinander folgender, im sozialgeschichtlichen Denkansatz aber völlig unterschiedlicher deutscher Gesellschaftssysteme strikt ablehnen. Sein Buch zeigt darüber hinaus, dass es keinen Sinn macht, bei einer durch wissenschaftliches Argument fundierten Ablehnung stehen zu bleiben. Er wendet sich deshalb im Kapitel 3 „Institutionen und Personen“ dem Forschungsverbund SED-Staat an der FU zu. Dem es, so Wippermann, weniger um Forschung und Wissenschaft in der deklarierten Richtung als um Ideologie und Politik, de facto also um die „Errichtung einer Diktatur des Verdachts“ gehe.
Auch das Amt des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (mehr als 3000 Mitarbeiter, über 100 Mio. € Kosten jährlich) erfährt eine Würdigung besonderer Art. Nachfolgend der von seinem ersten Leiter, dem Rostocker Pfarrer Gauck, postulierten Zielrichtung gehe es wohl um eine Institution, die große Ähnlichkeit mit dem „Wahrheitsministerium“ habe, das in Orwells prophetischem Buch „1984“ einen zentralen Raum einnimmt.
Wo der BStU tätig, ist der „Großinquisitor“ nicht weit. Sein Name: Hubertus Knabe. Wer den Leiter der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen schon einmal erlebte, wird kaum eine treffendere Bezeichnung als die von Wippermann gewählte finden: die Sprache betont leise, der Vortrag reich an Kunstpausen, der Gestus dezent. Das alles aber steht im krassen Gegensatz zum geradezu fanatischen Eifer eines ehemaligen BStU-Mitarbeiters. Der sich, wo auch immer er selbst es für notwendig hält oder es von interessierten politischen Kreisen für sinnvoll betrachtet wird, zu Wort oder Schrift meldet. Zweifellos sind Knabes andauernde missionarische Bemühungen auch von seinem persönlichenSchicksal geprägt, dessen Einzelheiten Wippermann erwähnt.
Zwischenzeitlich hat sich der „Großinquisitor“ zu einer Art selbsternannter heiliger Instanz in Sachen Delegitimierung der DDR entwickelt und kann somit als einer von Kinkels Haupterben gelten. Er sorgt, auch mit immer neuen Büchern, dafür, dass seine Erscheinung auf Dauer im hellen Glanze einer Verschwörungsideologie erstrahlt. Nach „West-Arbeit des MfS“, „Die unterwanderte Republik“ und „Der diskrete Charme der DDR“ ist seit der Leipziger Buchmesse mit „Honeckers Erben – Die Wahrheit über DIE LINKE“ endlich jener Titel präsent, „der jeden angeht, der sich um die politische Zukunft Deutschlands Sorgen macht“.
Sorgen macht sich auch Wolfgang Wippermann. Die sind allerdings nicht von Knabeschem Kaliber. Ganz im Gegenteil. Es geht ihm nicht um selbstgerechte Anmaßung, missionarische Abrechnung, üble Denunziation und primitive Diffamierung, schon gar nicht um unhaltbare Geschichtsklitterung. Er liefert kein „Schwarzbuch“ und keine Schmähschrift.
Er hat eine Streitschrift verfasst, in der es um die gerechte Bewertung von deutscher Geschichte geht. Sein Appell betrifft dabei auch jene, die noch immer nicht verstanden haben oder verstehen wollen, dass am Untergang „ihres“ Systems auch sie als Zeitgenossen ihren Anteil haben. Weil sie an dessen Entstehung, Ausprägung, Lebensdauer und Scheitern nicht nur schlechthin, sondern oft auch wesentlich mitbeteiligt waren.
Wolfgang Wippermann, Dämonisierung durch Vergleich: DDR und Drittes Reich, Rotbuch Verlag , 160 Seiten, brosch., 9,90 €, ISBN 978-3-86789-060-1Das Schicksal der Müllhalden
Franziska Kleiner, die schon im „DDR-Sammelsurium“ allerlei aus den Müllhalden der Geschichte hervorgekramte, ging wieder auf Spurensuche. Sie hat eifrig gesammelt und übersichtlich geordnet, was seit mehr als sechs Jahrzehnte an geistigen, moralischen, kulturellen, materiellen und politischern Werten zwischen Rügen und Rhön entstanden war. Wie sich heraus stellt ist das weit mehr als nur Grüner Pfeil, Club Cola, Spreewaldgurke, Gartenzwerg, Spee und „Dauerbrenner“ Sandmännchen.
Eine, wenn auch geringe Zahl von DDR-Produkten haben der übermächtigen Konkurrenz aus dem Land der einst sozialen, jetzt zunehmend global scheiternden Marktwirtschaft, bis heute widerstanden – Rotkäppchen Sekt, Florena-Creme, Röstfein-Kaffee, Halloren-Kugeln, Bautzner Senf. Preise und Kunstinstitutionen behielten, ungeachtet mancher Anfeindungen, ihren Namen: Käthe Kollwitz, Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Hanns Eisler, Ernst Busch, Konrad Wolf. Auch Straßen und Plätze künden trotz regionalpolitisch unterschiedlich ausgeprägter Umbenennungshysterie heute noch von Personen der Zeitgeschichte: Marx, Engels, Liebknecht, Thälmann, Pieck und Grotewohl. Städtepartnerschaften als Symbole von Weltoffenheit, von denen es schon zu DDR-Zeiten mehr gab als allgemein bekannt, werden weitergeführt: Insgesamt über 200 von mehr als 40 Städten. Von A wie Apolda bis Z wie Zwickau. Auch Lieder sind nicht totzukriegen – ob „Alt wie ein Baum“ von den Puhdys oder „Über sieben Brücken musst Du gehen“ von Karat.
Über wie viele „fiktive Brücken“ die verblichene DDR noch gehen muss und was am Ende wirklich von ihr bleiben wird, das liegt letztendlich auch im Ermessen jener Zeitgenossen, die Bücher lesen, in denen die Unfähigkeit der Deutschen belegt wird, tolerant mit ihrer jüngeren Geschichte umzugehen.
Franziska Kleiner, Was von der DDR blieb, Eulenspiegel Verlag, 192 Seiten, 14.90 €, brosch., ISBN 978-3-359-02225-1***
Erwin Strittmatter zählt auf andere Weise als Stefan Heym zu den prägenden Autoren seiner Zeit. Zu „Ole Bienkopp“ gab es in den 60er Jahrenin der DDR eine Literaturdiskussion, die ihresgleichen deutschlandweit bis heute sucht. Vielen, auch den jüngeren Literaturfreunden, noch gut in Erinnerung ist sein monumentales Werk „Der Laden“. Beeinflusst von Brecht schuf Strittmatter als sein wohl wichtigstes literarisches Vermächtnis, den „Wundertäter“. In dem uns – über drei Bände – mit Stanislaus Büdner ein einfacher „Held“ aus dem gemeinen Volke begegnet.
Über das 3. Buch hatte es vor seiner Veröffentlichung 1980 – hinter den politischen Kulissen – einen geradezu exemplarischen politisch-literarischen Streit gegeben. Der betraf weniger den Autor, mehr eine noch unvollkommene Gesellschaft. Deren schöpferische Kräfte nicht selten mit den dogmatischen Vorgaben einer Parteiführung kollidierten. Diese entwickelte, von scheinbar guten Gründen inspiriert, mit steigender Intensität eine falsches Selbstverständnis. Das zunehmend, und mit dem heute offenkundigen Ergebnis, den Lauf der neuen Welt in eine falsche Richtung lenkte. Genau davor hat der Autor mit den ihm gemäßen künstlerischen Mitteln gewarnt.
An Strittmatters Bedeutung für die deutsche Literatur kann auch die schon vor der Wende beginnende verletzende Distanz des bundesdeutschen Feuilletons nichts ändern. Genauso wenig wie die vor über einem Jahr – nach dem Beitrag von Werner Liersch in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung „Erwin Strittmatters unbekannter Krieg“ – einsetzende und bis heute anhaltende Diskussion um seine tatsächliche Mitgliedschaft in einer bestimmten militärischen Formation des Dritten Reiches. Wenngleich oder gerade weil sie typisch deutsch ist, geht sie am Autor Strittmatter letztendlich vorbei. Als Beweis dafür und ganz allgemein auch für die Frage „Was bleibt?“ kann gelten, was Stanislaus Büdner im „Wundertäter 3“ – nach einer langen, nervenden Auseinandersetzung mit dogmatischen Agitatoren über Recht oder Unrecht – lapidar formuliert: „Es ist noch nicht aller Tage Abend.“
Kann nicht einmal richtig beginnen, wenn Sie gleich mit den Titeln von Heyms Romanen fahrlässig sind: es ist nicht Collin, sondern Collien, und nicht Ashaver, sondern Ahasver. Werde erst lesen, wenn die Korrektur gelaufen ist. Was leider häufig passiert: die Ungenauigkeit bzw. Unachtsamkeit wird auf andere Teile des Inhalts übertragen – das läßt Ungutes ahnen. Tut mir leid.
Michael S. Cullen, Berlin
Nein, von der DDR blieb einiges mehr.
Der kritische Mensch. –Während der Westen eher den gläubigen hervorbrachte.
UND
das Wissen darum, dass es eine Alternative gibt.
Und dies wird der Todesstoß des menschenverachtenden Status quo.
@ Michael Cullen
Zur Hälfte haben Sie recht; Heyms Roman heißt „Ahasver“. Zur anderen Hälfte aber irren Sie; sein anderer Roman heißt „Collin“. Manchmal ist ein Fehler einfach eine Unachtsamkeit und nicht gleich ein grundlegender Qualitätsmangel.