Zwar ist die Bundestagswahl erst am kommenden Sonntag, aber schon heute steht fest, wer ihr Sieger und wer ihr Verlierer ist. Siegerin wird ohne Zweifel Angela Merkel. Sie kann gelassen abwarten, wie die Balken der Stimmanteile am Sonntagabend steigen oder sinken; das schwarze Rechteck der CDU/CSU wird das größte sein, und sie kann weiterhin als Kanzlerin regieren – ganz gleich, in welcher Konstellation. Aber auch den Verlierer kennt man schon: die SPD. Kommt es für sie (und uns alle) ganz schlimm, dann findet sie sich in der Opposition wieder. Eine Mehrheit für Union und FDP, aber vermutlich auch deren knappe Minderheit, die sie dann mit den Grünen, die in Ländern wie dem Saarland und Schleswig-Holstein bereits heftig diesbezügliche Lockerungsübungen machen, aufstocken können, dürften genügen, um das Regieren der Sozialdemokratie erst einmal zu beenden.
Aber selbst dann, wenn am Ende die Fortsetzung der großen Koalition steht, ist dies eine Niederlage für die SPD – und das nicht nur, weil sie mit einem ganz anderen Anspruch antrat. In einem künftigen schwarz-roten Kabinett wäre die SPD beträchtlich minimiert, personell wie inhaltlich, und vor allem Letzteres würde ihren Niedergang beim Wahlvolk noch einmal beschleunigen. Vor einigen Jahren in Thüringen und dann in Sachsen konnte die SPD bereits studieren, wie sehr sie im Bündnis mit der Union angesichts einer starken Linkspartei ihre Daseinsberechtigung verliert und von der »Volkspartei« zur Randerscheinung mutiert.
Die absehbare Niederlage der Sozialdemokratie am Sonntag ist das Resultat jener strategischen Fehlentscheidung, die der damalige Parteichef Franz Müntefering nach der Wahl 2005 traf. Er verwarf die damals schon vorhandene Möglichkeit eines Zusammengehens von SPD, Grünen, und PDS und schlüpfte statt dessen beinahe erleichtert unter die Rockschöße Angela Merkels. Das gern gebrauchte Argument, man hätte bei einer anderen Entscheidung des Wortbruchs geziehen werden können, verfängt nicht, denn zum einen war vor der Wahl auch die große Koalition strikt ausgeschlossen worden, und zum anderen verlangte Merkel als Eintrittspreis in ihr Kabinett eine von den Sozialdemokraten ebenfalls vehement bekämpfte Mehrwertsteuererhöhung, die ihr jedoch nun auf dem silbernen Tablett serviert wurde – und sogar mit Trinkgeld in Form eines zusätzlichen, von der Union zuvor gar nicht verlangten Prozentpunktes.
Das alte SPD-Establishment um Müntefering, Steinmeier, Steinbrück, Struck, den früh vergreisten Scholz und den Seeheimer Kreis setzte die große Koalition auch zum eigenen Machterhalt in der Partei durch. Als der neue Vorsitzende Kurt Beck später so zögerlich wie dilettantisch einen Kurswechsel versuchte, wurde er von der starrsinnigen Führungsclique schnell abserviert und die Sicherung der eigenen Positionen durch Weiterführung der großen Koalition zum Ziel erklärt. Vielleicht gelingt das egoistische Manöver noch einmal, aber das Siechtum der Partei wird dadurch nur beschleunigt.
Die Chance, die Fehlentscheidung von 2005 zu korrigieren, hätte jetzt durchaus bestanden. Das Mittelmaß Merkelschen Regierens ist gerade in den letzten Wochen immer offenkundiger geworden; selbst ein Steinmeier, der der Kanzlerin verbal im Fernseh-Duell Paroli bot, hat das deutlich gemacht. Wenn sich dieser positive Eindruck dennoch nicht in Wählerstimmen umsetzt, dann deshalb, weil man ihm und seiner Partei nicht glaubt. Allzu sehr steht das, was von den Wahlplakaten herunter tönt, im Widerspruch zur realen Politik der SPD – nicht nur im Bündnis mit der Union, sondern zuvor schon unter der Regentschaft Schröders und seiner Mannschaft, die mit der heutigen sozialdemokratischen Führungsriege weitgehend identisch ist. Dieses Glaubwürdigkeitsdefizit wurde verstärkt durch die Ablehnung jeglicher machtpolitischen Alternative. Der gesunde Menschenverstand sagt den Wählern, dass das, was die Partei im Wahlkampf – wie wolkig auch immer – versprach, mit keinem der von der SPD gewünschten Partner realisierbar ist. Sie ahnen schon jetzt mit Recht den nächsten Wahlbetrug.
Den Parteien nach CDU/CSU und SPD wird das zugute kommen. Die FDP sammelt eifrig all jene ein, die in der Krise fürchten, für deren teils auch von ihnen verursachten Folgen aufkommen zu müssen. Gute zehn Prozent können da schon zusammenkommen, die ewigen Besserverdienenden eben und alle, die es auch werden wollen. Die Grünen wie die Linken profitieren vor allem vom Niedergang der SPD. Grün wählt, wer den Tiefroten nicht traut und die Grünen als gemäßigtere linke Kraft betrachtet. Bei den Linken versammelt sich der größte Teil der wegen ihrer sozialen Lage Unzufriedenen. An den einen wie den anderen scheiterte es wohl nicht, wenn es wie vor vier Jahren am Sonntag eine Mehrheit links des »bürgerlichen Lagers« gäbe und man daraus ein politisches Bündnis schmieden könnte. Doch die SPD wiederholt ihren strategischen Fehler erst einmal, weil sie sich nicht rechtzeitig von der überlebten Altherrenriege mit ihrem antikommunistischen Komplex trennen konnte. Sie rechnet wohl mit einer dritten Chance. Vielleicht aber geht statt dessen die Geschichte schon bald über sie hinweg.
Und das wäre auch bitter nötig, daß die Geschichte über die Altherrenriege im „Politbüro“ der SPD über diese hinweggeht und sie damit auch hinwegfegt. Vielleicht wiederholt sich Geschichte ja doch einmal wenigstens!