Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wie die kollektive Weisheit der Wähler ein Resultat zustande bringt, das die richtigen, die zeitgemäßen Botschaften an die Parteien sendet. Die Wähler Nordrhein-Westfalens haben gestern nicht nur der CDU ein eindeutiges Misstrauensvotum ausgesprochen; sie haben zugleich deutlich gemacht, dass Rüttgers‘ Erfolg von vor fünf Jahren allein dem Frust über eine neoliberal außer Rand und Band geratenen SPD geschuldet warf und nicht seiner lächerlichen Attitüde als »Arbeiterführer«. Die FDP haben sie auf die üblichen Werte einer Klientelpartei zwischen sechs und sieben Prozent zurückgeführt.
Die SPD sollte bei aller zur Schau getragenen Selbstzufriedenheit doch nüchtern konstatieren, dass das Misstrauen der Wähler ihr gegenüber ungebrochen ist; sie verlor gegenüber dem bisher schlechtesten NRW-Ergebnis 2005 noch einmal fast 400.000 Stimmen und erreichte nur deshalb zahlenmäßig wieder gleiche Augenhöhe mit der CDU, weil diese über eine Million ihrer Wähler einbüßte. Auf das Konto der nach wie vor für viele Bürger unglaubwürdigen SPD kommt auch der Einzug der Linkspartei in den nordrhein-westfälischen Landtag – mit einem schwachen Ergebnis zwar, aber die Wähler wollen einen solchen Mahner, der sich nicht sofort Sachzwängen unterwirft, sondern erst einmal deutlich ihre Erwartungen artikuliert, im Parlament haben.
Bleibt der Erfolg der Grünen, der sich zunächst einmal ganz profan daraus ergibt, dass wer wählen wollte, ja irgendjemanden wählen musste, und da erschienen vielen die Grünen wohl wegen ihrer Beliebigkeit als die einzig denkbare Wahl. Sie boten im Wahlkampf jedem etwas und sind damit – wie sich auch nach dem Wahltag zeigt – der ideale Koalitionspartner für jedermann. SPD, Linken, auch der FDP haben sie schon Avancen gemacht, und wäre nicht Schwarz-Grün zahlenmäßig unmöglich, stünde gewiss auch diese Variante nicht außerhalb aller grünen Überlegungen.
Dennoch dürften sie kaum zum Zuge kommen, sondern macht sich die SPD daran, wieder einmal einen CDU-Ministerpräsidenten zu retten. Die große Koalition ist für sie die bevorzugte Wahl, derzeit noch mit dem Anspruch, den Ministerpräsidenten zu stellen, doch das wird gewiss sowohl an den demokratischen Gepflogenheiten – die CDU hat 6200 Stimmen mehr als die SPD – als auch am CDU-Machtwillen scheitern. Die rot-rot-grüne Alternative hat in einer SPD, die bereits Roland Koch ihrer hessischen Spitzenkandidatin Andrea Ypsilanti vorzog, und die in Nordrhein-Westfalen zudem wesentlich von einem Wolfgang Clement geprägt ist, keine Chance. Zur Bemäntelung bringt man, wie schon in Hessen, die Ampelkoalition ins Spiel, wohl wissend, dass sich die FDP darauf – schon mit Rücksicht auf die Berliner Koalition – nicht einlassen kann und will.
Hannelore Kraft muss man diese absehbare Entwicklung nicht unbedingt anlasten. Sie weiß vom Kräfteverhältnis in der Partei, die nach wie vor von seinem rechten Flügel dominiert wird. Sie kennt auch die ideologische Position des medialen Mainstreams, die bereits in Hessen wesentlich zum Scheitern Ypsilantis beigetragen hat. Sie wird sich in das in der derzeitigen SPD Unvermeidliche schicken und nach einer gewissen, wahrscheinlich gar nicht so langen Anstandspause zum Juniorpartner der CDU werden – vielleicht ohne Jürgen Rüttgers, vielleicht auch selbst nicht im Kabinett, sondern als Fraktionsvorsitzende.
Für die Linke wäre das übrigens so schlecht nicht. Sie könnte stets darauf verweisen, dass an ihr das vom Wähler gewünschte Bündnis links von Schwarz-Gelb nicht gescheitert ist und ansonsten in der Opposition an Statur wie Erfahrung gewinnen. Sie kann abwarten, wie sich die Dinge in Nordrhein-Westfalen entwickeln und im übrigen sicher sein, dass auch künftig die Wähler die Parteien mit solchen Konstellationen konfrontieren, in denen sie ihre Rolle spielen kann – bis zu dem Tag, an dem sie nicht mehr zu ignorieren ist.
Also gestern hatte ich lange Zeit das Gefühl, dass dieses Wahlergebnis eine Chance für eine wieder etwas sozialere Politik eröffnen wird, die späten Kommentare von Hannelore Kraft, in denen sie die Linke betont wieder als „nicht koallitionsfähig“ bezeichnet hat, haben aber die Angst entstehen lassen, dass die Wahrscheinlichkeit einer großen Koalition doch sehr hoch ist. Das wird nun da ja auch in dem Beitrag als wahrscheinlichste Lösung angesehen.
Aber glücklich bin ich damit nicht. Der Erfolg der Linken ist sicher darauf zurückzuführen, dass die Bürger der SPD eben die Sozialkompetenz nach allem was in der Agenda 2010 beschlossen wurde nicht mehr glaubten – und daher wahrscheinlich auch die Linke deswegen gewählt wurde.
Wenngleich ich bei der Linken eine Unmenge an „gesellschaftlichem Unsinn“ im Wahlprogramm lesen muss, finde ich doch die Pläne für den Sozialbereich dort sehr gut. Und der „Unsinn“ ist auch nicht so schlimm zu sehen – er erinnert mich durchaus an die Anfänge der Grünen die da auch diverseste Splittergruppen mit verschiedensten Forderungen unter eienn Hut bringen mussten – da hat sich praktisch alles in der Realität auf durchaus diskutierbare und akzeptable Vorschläge reduziert.
Da habe ich auch gehofft, dass die Linke in einer Koalition eben auch vertreten sein wird und die „guten“ Vorschläge eben dadurch eine Chance bekommen hier in NRW endlich verwirklicht zu werden.
Und gerade im Harz IV Bereich wäre einiges zurückzusteueren. Mindestlöhne müssten endlich her, die Zeitarbeitsproblematik sollte auch mal geändert werden und da sind etliche „gut gedachten Dinge in der Agenda 2010“ zu korrigieren, die sich eben inzwischen als kontraproduktiv herausgestellt haben.
Aber mit den Vorschlägen von Kraft wie z.b. für Langzeitarbeitslose wieder mal ein Sonderprogramm zur Beschäftigung zu finden wird da eigentlich wieder einmal nur ein kosmetisches Programm verwirklicht – an der Situation, dass auch das Land selber mit der rigiden Personalpolitik an Arbeitslosigkeit und Billigarbeitsplätzen schuld ist ändert sich weiterhin nix.
Also wirkliche Hoffnung auf eien gute Arbeit einer großen Koalition hab ich nicht – und so wie ich das befürchte führt dies nur zu einem Weiterwursteln und bei der nächsten Wahl haben eben SPD und CDU dann so um die 30 % oder noch weniger, wenn nicht sogar irgendwann nicht mal die große Koalition mehrheitfähig sein wird.
Aber noch sind ja die Verhandlungen erst am Beginn – vielleicht kommt ja doch etwas besseres als ein große Koalition zustande.
Tja, wann wird wohl der Tag gekommen sein, an dem die Damen und Herren Politiker den Wählerwillen endlich in verantwortbare Politik umsetzen werden?
Die „Partei der Nichtwähler“ war auch in NRW mit gut 41% wieder sehr stark und wahlmitentscheidend. Aber wie gewohnt wird eine solche Petitesse im medialen Politzirkus nur am Rande wahrgenommen. Übrigens sollen die „Genossen“ an Rhein und Ruhr bereits versucht haben, den einen oder anderen den neuen Linkenabgeordneten auf ihre Seite zu ziehen.
Und? Überrascht Dich da was? Dein Eingangssatz gefällt mir 😉
Die Analyse und die Befürchtung ist genau richtig, aber ich kriege langsam das Heulen ob unserer Ohnmacht. Ich habe diesmal Nachbarn, die bisher CDU gewählt haben, ernsthaft überlegen hören, die Linke zu wählen (dann entschlossen sie sich doch, SPD wählen) – will sagen, die Linke ist kein Bürgerschreck mehr. Aber die Presse beschreibt sie immer noch so; da man nicht mehr gegen ihre Inhalte argumentieren kann, hebt man jetzt überall hervor, dass sie „ein Chaotenhaufen“ seien. In geringem Umfang stimmt das hier in NRW; ich kenne ein paar der Chaoten und frage mich schon lange, von wem die bezahlt werden…. Aber die lassen sich kaltstellen.
Dass die FDP mit aller Gewalt die Linke verhindern muss, ist klar. Denn anders als die Grünen (mit deren Anfängen die Linke oft verglichen wird) es jemals waren, ist die Linke, wenn sie in Koalitionen mehr Einfluss bekommt, eine echte Gefahr für die Klientel der FDP.
Aber die SPD ist einfach nicht zu verstehen. Mit einer rot-rot-grünen Koalition in NRW hätte sie jetzt in NRW und im Bundesrat echt die Chance, einige sozialdemokratische Positionen durchzuboxen. Warum tut sie das nicht? Meine einzige Erklärung ist, dass sie eben doch, wie Schröder, von der Wirtschaft korrumpiert ist.
Leider hat sich die Prognose heute bestätigt. Wenn es gegen linke Politik geht, kann sich das bürgerliche Lager noch immer auf die SPD verlassen.