Am meisten dürften die Taliban überrascht gewesen sein: Sie haben keine Selbstmordattentäter losgeschickt, keine Sprengfallen gelegt und auch keine Granatwerfer auf das deutsche Lager in Kundus ausgerichtet – und dennoch fiel ihnen der höchstgestellte Deutsche zum Opfer – der Bundespräsident. Physisch haben sie ihn zwar nicht getroffen, aber politisch ist er ein toter Mann. Horst Köhler hat heute seinen Rücktritt erklärt, keine zehn Tage nach seiner Kurzvisite in Afghanisatan, von deren Folgen er sich nicht erholen konnte.
Neben den Taliban kann sich noch jemand anderes als Sieger fühlen: die Wahrheit. Denn die hat Köhler mit beinahe sympathischer Offenheit ausgesprochen, als er die deutschen Kriegseinsätze teils weitab von den nationalen Grenzen als das bezeichnete, was sie tatsächlich sind – Aktionen zur Wahrung wirtschaftlicher und machtpolitischer Interessen, wie sie die Herrschenden hierzulande verstehen. Der Ex-Bundespräsident als ehemaliger Finanzmanager und IWF-Präsident kannte diese Interessen nur zu gut, hatte er ihnen doch bereits in seinen früheren Ämtern treu gedient; das sollte im Amt des Staatsoberhauptes nicht anders sein, und daher redete er abseits aller verschleiernd-diplomatischen Floskeln in dieser Sache Klartext.
Aber genau das nahm ihm die politische Klasse übel. Es fiel auf, dass die Kritik an seiner Offenheit bei SPD und Grünen am schärfsten war. Sie hatten schließlich die Bundeswehr in weltweite Kampfeinsätze geführt, dafür jedoch allerlei beschönigende Gründe ins Feld geführt, um die Wahrheit ungesagt lassen zu können. Dass Köhler diese Lügen so schonungslos entlarvte, empörte die früheren rot-grünen Koalitionäre, aber auch die jetzige Regierung mochte diese Wahrheit nicht hören und sich schon gar nicht mit ihr auseinander setzen. Sie weiß um die ganz überwiegende Ablehnung des Afghanistan-Engagements in der Bevölkerung und scheut die ehrliche Diskussion über ihre Hintergründe, die der nun zurückgetretene Präsident vielleicht gerade deshalb erzwingen wollte – natürlich in der Hoffnung, die Stimmungslage umzukehren. Damit ist er schon im eigenen Lager gescheitert, und insofern ist der Rücktritt durchaus eine logische Konsequenz.
Aber Horst Köhler mag noch etwas anderes verdrossen haben – seine Behandlung durch die schwarz-gelbe Koalition als deren subalterner Angestellter. Das hatte bereits begonnen, als Köhler von CDU/CSU und FDP, damals noch Opposition, im Wohnzimmer Guido Westerwelles aus dem Hut gezaubert wurde, und es begleitete eigentlich seine gesamte Amtszeit. Immer wenn sich das Staatsoberhaupt anmaßte, eine eigene Meinung zu formulieren (was freilich mitunter ziemlich schlicht geriet), gab sie ihm dies sofort unmissverständlich zu verstehen, meist mit jenem nachsichtigen Grinsen, mit dem man jemand bei seinem Tun zuschaut, den man eigentlich für einen Trottel hält. Man legte ihm Gesetze zur Unterschrift vor, die verfassungsmäßigen Kriterien nicht genügten, man griff sich empört an den Kopf, als er ein Gespräch mit dem Ex-Terroristen Christian Klar führte, und man machte ihn schon bei früheren Wahrheiten madig, so als er die außer Rand und Band geratenen Banken bereits zu einem Zeitpunkt als „Monster“ bezeichnete, das das noch als umstürzlerisches Gedankengut galt.
Die schwarz-gelbe Regierung und ihre Parteien haben Horst Köhler nie ganz ernst genommen. Er war ihr Produkt, und sie verlangten von ihm, dass er entsprechend funktioniere. Das hatten zuvor schon andere versucht, so Helmut Kohl bei Richard von Weizsäcker. Der jedoch ließ sich die Butter nicht vom Brot nehmen und ging als einer der geachtetsten Präsidenten der Bundesrepublik in die Geschichte ein. Solches Format freilich hat Horst Köhler nicht; auch deshalb hat sein Rücktritt Folgerichtigkeit. Er wollte am Ende wohl nur noch ein letztes Stück an Reputation gewahrt wissen; wenigstens das könnte ihm gelungen sein.
„Sie weiß um die ganz überwiegende Ablehnung des Afghanistan-Engagements in der Bevölkerung und scheut die ehrliche Diskussion über ihre Hintergründe, die der nun zurückgetretene Präsident vielleicht gerade deshalb erzwingen wollte – natürlich in der Hoffnung, die Stimmungslage umzukehren. “
Aber ich weiß nicht: können wir nicht froh sein, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Wirtschaftskriegen wohl nicht zustimmen würde? Sollte man das nicht nutzen, um diverse Auslandseinsätze in Frage zu stellen?
@ Guardian of the Blind
Natürlich können wir über die Ablehnung von Krieg in der Bevölkerung, mit welcher Begründung immer, sehr froh sein. Denn gerade daran ist Horst Köhler schließlich gescheitert, meinte er es doch ernst mit dem Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung deutscher Wirtschaftsinteressen. In der Sache stimmt damit natürlich auch die Bundesregierung überein, aber sie will es nicht zugeben, sondern erfindet allerlei Scheingründe. Dieses Lügengebäude hat Köhler mit seiner Offenheit zerstört. Ungewollt nützt er damit objektiv den Kriegsgegnern – und das nahmen ihm die Bellizisten übel.