Natürlich ist die heutige Zitterpartie um die Wahl Christian Wulffs zum Bundespräsidenten die bisher schwerste innerparteiliche Niederlage Angela Merkels, aber auch SPD und Grüne verlassen die Bundesversammlung – anders als sie selbst es aus verständlichen Gründen darstellen – als Verlierer, in der Sache selbst, vor allem aber unter strategischem Aspekt.
Als die schwarz-gelbe Koalition im dritten Wahlgang endlich die absolute Mehrheit erreichte, schien die Bundeskanzlerin zufrieden; dabei sollte ihr gerade diese Zahl zu denken geben. Sie besagt nämlich, dass es in der Bundesversammlung stets eine solche Majorität für Wulff gab, sie aber lange nicht wirksam wurde – nicht wegen des niedersächsischen Kandidaten, sondern wegen der CDU-Vorsitzenden, die – offensichtlich mehr noch als Helmut Kohl – ihre Partei als Kanzlerwahlverein betrachtet. Und dafür von ihren eigenen Parteifreunden abgestraft wurde, zumal ihre Politik wahrlich keine Erfolgsstory darstellt.
Das ist mit dem Ergebnis des dritten Wahlgangs nicht ausgeräumt und vermehrt ohne Zweifel die Schwierigkeiten der Koalition, die sich aus den Widersprüchen zwischen den Koalitionspartnern und ihren jeweils eigensüchtigen Interessen ergeben. Man wird sehen, wie Angela Merkel damit fertig wird. Bislang ist freilich nicht erkennbar, dass sie – die vielleicht etwas von physikalischen Prozessen versteht, aber wenig von psychologischen, woran möglicherweise Horst Köhler verzweifelte, schon gar nicht von sozialpsychologischen, was auf die Dauer tödlich für einen Parteiführer sein kann – daraus etwas lernen könnte.
SPD und Grüne hingegen feiern ihren Erfolg, der sich am Ende aber doch nur darauf verkürzt, dass sie die bereits allgemein bekannte desolate Situation der schwarz-gelben Koalition einmal mehr sichtbar gemacht haben. Für die eigene Machtperspektive bringt dies jedoch gar nichts; sie wurde im Gegenteil weiter verbaut. Die seit dem Amtsantritt Sigmar Gabriels erkennbare Linie, die Linkspartei unter allen Umständen auf die eigenen Politikkonzepte festzulegen, hat – nach Nordrhein-Westfalen – erneut eine Niederlage erlitten.
Zweimal ist somit deutlich geworden, dass SPD und Grüne keine Machtoption haben, solange sie der Linkspartei nicht auf Augenhöhe entgegentreten. In Düsseldorf wiesen sie – über weitgehende inhaltliche Gemeinsamkeiten hinweggehend – das Angebot der Linken zur Zusammenarbeit brüsk zurück, unter dem Vorwand unterschiedlicher Auffassungen über die Vergangenheit. Inzwischen buhlen sie indirekt nun doch wieder um linke Stimmen – und zwar zu Recht, denn anders kann Hannelore Kraft nicht Ministerpräsidentin werden und bleiben.
Dennoch wiederholten die Führungen von SPD und Grüne bei der Bundespräsidentenwahl das Spiel. Sie kürten einen Präsidentschaftskandidaten und erwarteten von Anfang an die Zustimmung der Linken – ungeachtet der gravierenden Differenzen zwischen Gauck und Linken in zentralen inhaltlichen Fragen wie dem Afghanistan-Krieg und sozialer Gerechtigkeit. Sie wollten die Linkspartei zwingen, über die Zustimmung zu Gauck auch dessen konservative politische Positionen zu tolerieren. Nicht zufällig wurden diese Fragen in der Debatte seitens Rot-Grün gern ausgeklammert und den Linken nahegelegt, mit der Zustimmung zum ehemaligen Chef der Stasiakten-Behörde nun endgültig ihre Vergangenheitsbewältigung zu vollziehen. Doch die Linkspartei weiß inzwischen aus langer Erfahrung, dass sie noch so viele Gesslerhüte grüßen kann, den Makel der Stasi-verdächtigen SED-Nachfolgerin wird sie deswegen noch lange nicht los.
Aber darum ist es SPD und Grünen auch nicht gegangen. Sie wollten ihre angemaßte Meinungsführerschaft links von Schwarz-Gelb durchsetzen – und mussten damit scheitern, weil ihre Position eben mit Links nicht viel zu tun hat. Sie ist bislang auch nur eine Variante bürgerlicher Politik – so wie ihr Präsidentschaftskandidat Joachim Gauck nur eine Variante des Koalitionskandidaten Christian Wulff war.
Mich nervt, wie die Presse diese Bundespräsidentenwahl hochstilisiert zu einer „Zerreißprobe“ für Schwarz-Gelb und zu einer generellen machtfrage für die Oppositionsparteien. Mich nervt, dass hier auf das Ausführlichste im Kaffeesatz gelesen wird, statt sich um politische Inhalte zu kümmern. Allerdings macht die SPD in ihrem Umgang mit der Linken – bar jeder inhaltlichen Erwägung, taktisches Kalkül als Selbstzweck – das besonders „gut“….
Immerhin muß die Linke sich jetzt den Vorwurf gefallen lassen, den von Merkel aufs Schild gehobenen Kandidaten Wulff mit ins Bundespräsidentenamt „durchgewunken“ zu haben. Angela wird`s den Linken aber nicht danken!
Auch wenn das unfaire Verhalten von Rot-Grün jeder Beschreibung spottet, Gauck ist nicht Wulff und Wulff nicht Gauck. Der in „kapitalen Netzwerken“ eng eingebundene Berufspolitiker Christian Wulff wird der Kanzlerin weiterhin treu bleiben, bei Joachim Gauck als früherem Bürgerrechtler wären aber durchaus demokratischere Akzentsetzungen zu erwarten gewesen.
@ Markus
Im entscheidenden 3. Wahlgang hatte Wulff die absolute Mehrheit, weil die Union nicht riskieren wollte, dass die Linke – und sei es nur indirekt – zur Wahl ihren Präsidentschaftskandidaten beiträgt. Dieses Ergebnis hätte es todsicher schon im 1. Wahlgang gegeben, hätte die Linke von Anfang ihre Zustimmung zu Gauck signalisiert. Nur weil sie eine eigene Kandidatin aufstellte, trauten sich die Unions-Abtrünnigen ihren kleinen Aufstand. Letztlich hat also Gauck sein gutes Resultat im 1. und 2. Wahlgang Luc Jochimsen zu verdanken. Als sie zurückzog, war Gaucks Niederlage besiegelt.
@ oberblogsaenger
Warum hat die Linke Luc Jochimsen im dritten Wahlgang zurückgezogen, aber nicht für Gauck gestimmt? Selbst im entscheidenden dritten Wahlgang (bei dem allerdings die einfache Mehrheit ausreicht) gab es im Regierungslager „Abweichler“.
Und was haben wir jetzt für eine Situation? Der „Liebling aller Schwiegermütter“ Christian Wulff wird von der bürgerlichen Mainstreampresse bereits hochgeschrieben und die Linke auch von Rot-Grün stigmatisiert und ausgegrenzt. Zumindest Letzteres hätte man m.E. mit einem anderen Wahlverhalten seitens der Linkspartei verhindern können.