Dass die CSU ihren neuen Häuptling erst auf einem Parteitag im September bekommen soll, ist nur zu begrüßen, ermöglichen doch so die kommenden sieben Monate einen tiefen Einblick in das wahre Innenleben der Partei – jenseits aller werbeträchtigen Sprüche. Und das Publikum dürfte durch eine Neuauflage wahrhaft Shakespearescher Königsdramen mit all ihren Intrigen, Verrätereien, Totschlagsargumenten und Rufmorden bestens unterhalten werden – vor allem dann, wenn die Tragödien sich zu Farcen wenden. Noch steht nicht fest, wer den Macbeth gibt und wer den Lear, für den Jago liegen aber bereits einige Bewerbungen vor. Vielleicht erleben wir auch einen Hamlet und einen Richard III. Die Kobolde des Sommernachtstraums dürften ebenfalls kaum fehlen. Schon Stoibers Abgang hatte den Fernsehregisseur Dieter Wedel auf die Idee gebracht, dies Geschehen müsse unbedingt verfilmt werden.
Vor allem aber werden wir erleben, was in der CSU christlich heißt – und das nicht nur, weil der Großkardinal Meisner dafür schon mal die Maßstäbe festlegte. Wir werden auch etwas über die Werte erfahren, die die CSU im Innersten zusammenhalten und uns die Augen reiben. Wir werden eine neue Definition von Fairness lernen müssen und darüber staunen, was alles unter das Stichwort »Anstand« passt. Und am Ende werden wir uns fragen, warum diese Partei in Bayern immer noch so viele Stimmen bekommt – und werden dabei einmal mehr etwas über den Menschen erfahrten, den nichts so sehr fasziniert wie ein Agieren, das weit von jenen Tugenden entfernt ist, die man uns immer wieder predigt.