Kurt Beck agiert derzeit wie ein Feldherr, der sich auf dem Rückzug befindet und nur noch darauf achten kann, dass sich dieser geordnet und bei minimalen eigenen Verlusten statt in einer heillosen Flucht vollzieht. Er ist jetzt knapp anderthalb Jahre Vorsitzender der SPD und hat als erfahrender Politiker in dieser Zeit lernen müssen, dass die Partei einem schleichenden Untergang geweiht ist, wenn er nicht mit ihr eine inhaltliche Kehrtwende einleitet.
Beck hat alles versucht, die unter Rot-Grün exekutierte Politik fortzusetzen und damit der genannten Entwicklung zu widerstehen, doch er musste erkennen, dass sie seit Gerhard Schröders Wandlung vom Sozialdemokraten zum faktischen Neoliberalen – die der Ex-Kanzler übrigens jetzt in seiner neuen Funktion als Gasprom-Manager voll ausspielen kann – als objektiver und damit nicht aufhaltsamer Prozess verläuft. Erstes Opfer des damit eingeleiteten Niedergangs der SPD wurde die rot-grüne Regierungsmehrheit, die der Wähler 2005 dem Verkünder und Vollstrecker der Agenda 2010 verweigerte. Opfer wurde damit auch Schröder selbst, doch gleichermaßen seine beiden kurzzeitigen Nachfolger Müntefering und Platzeck, die an der Schröder-Politik festhielten – aus Machtgeilheit der eine, aus Hilflosigkeit und Autoritätsgläubigkeit der andere. Beck verschaffte sich anschließend eine Atempause, weil er sich in beiderlei Hinsicht wohltuend von seinen Vorgängern abhob; ihm half aber auch, das seine Partei nun erst einmal Ruhe wollte.
Doch schon bald merkte der ganz nach oben gelangte Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, dass man ihm eben nur eine Atempause gönnte und ansonsten das Problem, dem er gern ausgewichen wäre, weiter bestand. Die SPD wurde auch unter seiner Führung immer weniger als sozialdemokratische Partei wahrgenommen. Verlorene Zustimmung konnte sie schon gar nicht zurückgewinnen – zumal sich links von ihr inzwischen eine Partei formiert hatte, die entschieden und kompromisslos vieles vertritt, das Herzenssache von Sozialdemokraten ist. So entschieden, dass in der ostdeutsch geprägten PDS als hauptsächlichem Blutspender der Linken schon die Sorge Raum greift, sie werde vom Politprofi Lafontaine zu einer neuen SPD umfunktioniert.
In dieser Zwickmühle bleibt Kurt Beck nur der Rückzug von den zerstörerischen Positionen der Schröder-Ära; er hat ihn an einer Stelle eingeleitet, wo er ihm ohne große Verwerfungen machbar schien. Reichen wird das aber nicht, weshalb zu erwarten steht, dass der Infragestellung der derzeit geltenden ALG-I-Bezugsdauer bald auch andere »heilige Kühe« der Agenda 2010 folgen werden, vor allem der Hartz-IV-Komplex mit seinen erniedrigenden und in die Armut führenden Regeln gegen Arbeitslose. Wie geordnet sich der Rückzug der SPD-Führung in dieser Frage vollziehen wird – schon hat Vizekanzler Müntefering heftigen Protest artikuliert – und wo die neuen Stellungen sein werden, in die sich die Partei eingräbt, um von dort aus gegenüber der Union auf der einen und der Linkspartei auf der anderen Seite wieder Land gewinnen zu können, ist noch nicht abzusehen. Und auch nicht, ob Beck den Konflikt mit dem Schröderianern in der Führung durchstehen wird.
Sicher ist nur, dass die Agenda 2010 aus der jetzt eingeleiteten Operation nicht ungeschoren herauskommen wird – und das zu Recht. Denn der vemeintliche Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt, den die Agenda bringen sollte, ist in der Realität nie eingetreten.. Sinkende Arbeitslosenzahlen wurden erkauft durch Niederingstlöhne, die den »neuen Jobbern« nicht einmal das Existenzminimum sichern. Ihre Erniedrigung, ihre Existenzangst bleiben, der Staat muss sie weiter alimentieren und gibt damit an anderer Stelle aus, was er beim Arbeitslosengeld spart.. Das ohnehin mäßige Wirtschaftswachstum steht wegen anhaltender Kaufkraftschwäche, die auch aus solchen Verunsicherungen resultiert, auf schwankendem Boden. Für derartige Pseudo-Arbeitsplätze war es die Mühe nicht wert. Das beginnt auch die SPD zu begreifen – und zugleich, dass bei Fortsetzung solcherart ungerechter Politik die Partei als Sozialdemokratie nicht überleben wird.
Noch noch wenige Monate bis 2010.
Vorwärts.