(pri) Ausgerechnet am 1. März, dem Tag der Nationalen Volksarmee, an dem in der DDR Beförderungen ausgesprochen und Medaillen verteilt wurden, scheidet mehr als 20 Jahre nach dem Ende der DDR-Streitkräfte der Bundeswehr-Oberbefehlshaber und BRD-Verteidigungsminister aus dem Amt; fürwahr eine hintergründige Laune der Geschichte. Er tat es gegen seinen Willen, gegen den seiner Partei und Regierung und vor allem gegen den der Kanzlerin. Er tat es, weil es einer wachsenden Zahl von Bürgern dieses Landes, die gern etwas abschätzig mit dem Attribut von »Wutbürgern« belegt werden, unerträglich wurde, wie prinzipien- und würdelos Politik sich über alle Regeln von Ehre und Anstand hinwegzusetzen versuchte, um ihre Macht zu sichern. Diese Bürger mit den gern gescholtenen Intellektuellen an der Spitze haben das Land gegen Verlotterung und moralischen Niedergang verteidigt – und zwar ohne jede Unterstützung durch Regierung und die sie tragenden Parteien, sondern mutig gegen sie.
Wenn etwas an der Affäre Guttenberg positiv ist, dann diese Unbestechlichkeit eines Teils der Bevölkerung, die den Freiherrn mit seinem Versuch scheitern ließ, seine politische Karriere zumindest teilweise auf Lug und Trug aufzubauen und zudem dazu führte, dass viele trotz des Trommelfeuers des Boulevards zur Rechtfertigung aller Mittel auf dem Weg nach oben allmählich in eine Diskussion darüber eintraten, welche Werte, welche Prinzipien für das gedeihliche Zusammenleben einer Gesellschaft unabdingbar sind – und zwar auch oder gar vor allem dann, wenn diese Werte und Prinzipien von der amtierenden Regierung mit Füßen getreten werden.
Die Bundeskanzlerin, die christlich-demokratische und die christlich-soziale Union, die frei-demokratische Partei, die sich nicht genug darin gefallen konnten, als die wahren Verfechter urbürgerlicher, konservativer Werte aufzutreten, haben diese um kurzfristiger Wahlerfolge willen auf den Kehrichthaufen gefegt. Sie, für die Eigentum ein heiliges Gut ist, haben deutlich werden lassen, dass es dabei nicht etwa um geistigen Besitz, um ethische und moralischer Güter geht, sondern nur um Materielles, um Pekuniäres – und dass man um dessen Mehrung willen eben auch Moral und Sitte aus dem eigenen Nachdenken und Entscheiden verbannen kann. Die Regierungsparteien und vor allem Angela Merkel haben damit auch bewiesen, dass sie längst vom Kern, vom Gründungskonsens ihrer eigenen bürgerlichen Parteien abgerückt sind. Mehr und mehr bringen sie große Teile ihrer einstigen Basis gegen sich auf, weil ihnen das brutale Durchregieren wichtiger ist als vernunftgeleitete Politik. Der Fall Guttenberg ist nach Stuttgart 21, der Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken, der kalten Verhöhnung von Hartz-IV-Empfängern und vielen anderen ähnlichen Entscheidungen ein besonders deutliches Signal politischer Ignoranz und der Verachtung selbst der eigenen Anhängerschaft – und er könnte sich gerade deshalb als Sargnagel für die Merkelsche Kanzlerschaft erweisen.
Wichtiger an dem Vorgang aber dürfte sein, dass durch die heftige Diskussion über den Betrug zu Guttenbergs die Chance besteht, schon erodierende Maßstäbe für Ehrlichkeit, Leistungswillen, Verantwortungsgefühl und Fairness wiederherzustellen. Die bis zuletzt anhaltende Bereitschaft vieler, den geistigen Diebstahl zu Guttenbergs als lässliches Kavaliersdelikt durchgehen zu lassen, wirft ein irritierendes Licht auf den moralischen Zustand des Landes. Offensichtlich hat die Politik schon ganze Arbeit geleistet, die entsprechenden Grundsätze aus dem Bewusstsein der Menschen zu tilgen. Die Entlarvung des Hochstaplers Karl Theodor zu Guttenbergs könnte zu einem Umdenken beitragen; ob das tatsächlich gelingt, wird nicht zuletzt an dessen künftiger Rolle hierzulande abzulesen sein.
Danke für diesen absolut treffsicheren Beitrag – traurig ist allerdings auch, dass zu Guttenberg sogar seinen Abgang noch für die Selbststilisierung nutzt, um so langfristig schon seine Rückkehr in die Politik vorzubereiten. Und es steht zu befürchten, dass bei den (ich glaube, es waren) 87 % der BILD-Leser nichts anderes hängenbleiben wird als diese Inszenierung eines Ministers, der scheinbar nur deshalb auf sein Amt verzichtet, weil er verhindern will, dass die Diskussion weiterhin „auf dem Rücken der Bundeswehr“ ausgetragen wird. Dass es sein eigenes Fehlverhalten ist, dass sich auf diesen Rücken äußerst negativ auswirken könnte, scheint ihm nicht in den Sinn zu kommen. Ja, wer denkt schon noch an die gefallenen Soldaten, wenn sich alles nur um die Person zu Guttenbergs dreht? Und deshalb zieht er sich hehr zurück, ein Erhabenheitsgestus, der gerade noch gefehlt hat, vom Missbrauch des Kriegsthemas in diesem Zusammenhang ganz zu schweigen.
Und wann kommt nach dem längst überfälligen Rücktritt des politischen Scharlatans Guttenberg nun die Dolchstoßlegende in der Bild-Zeitung? Nach der larmoyanten und narzißtischen Guttenberg-Erklärung, die wenig Einsicht und noch weniger Läuterung erkennen läßt, muß m.E. befürchtet werden, daß man bei CDU/CSU auch künftig auf die populistische Karte setzen wird.
Was die künftige Rolle
hierzulande des Merkel-Sargnagels angeht, so wird dieselbige auch von dem Ergebnis der noch ausstehenden staatsanwaltlichen Ermittlungen in einer Weise beeinflusst werden, deren Brisanz nicht abzusehen ist.
Nicht nur im Bundeskanzleramt läuten die Glocken weiterhin: die Guttenberg-Messen sind noch lange nicht gesungen…