Nach Schröder vor fast genau zwei Jahren nun Müntefering. Die beiden Hauptinspiratoren der antisozialdemokratischen Agenda 2010 sind auf der ganzen Linie gescheitert. Ihr Abgang von der politischen Bühne ist die logische Konsequenz einer schweren Niederlage, die ihnen ihre Partei, vor allem deren Basis beigebracht hat.
Für den politischen Profi Müntefering war die bereits Stunden vor der Sitzung des Koalitionsausschusses absehbare Ablehnung des Mindestlohnes für Briefzusteller der wohl letzte jener bitteren Tropfen, die er seit Wochen schlucken musste. Er fand sich unversehens zwischen allen Stühlen wieder, denn die Union war keineswegs bereit, ihn für seinen Beitrag zur Umorientierung der SPD zu belohnen; da mag er sich – natürlich auch angesichts der Krankheit seiner Frau – gefragt haben, warum er sich das politische Hamsterrad weiter antun soll, in dem er nun nur noch erfolglos seine Runden drehte. Er weiß, dass, zumal im beginnenden Wahlkampf, für ihn, der Opposition immer wieder als »Mist« bezeichnete, nichts mehr zu gewinnen war. Er regierte zwar noch mit, war aber in der eigenen Partei zur Opposition geworden.
Die Jahre seit 1999, als Müntefering von Schröder geholt wurde, um die tiefe Vertrauenskrise, in die der Kanzler die SPD durch das Ausbooten Oskar Lafontaines gestürzt hatte, zu überwinden, waren für das einstige »SPD-Urgestein«, den »Parteisoldaten« aus der SPD-Herzkammer Nordrhein-Westfalen Jahre des persönlichen Abstiegs – vor allem nachdem er ab 2002 zu einem der Hauptarchitekten und Durchpeitscher der Agenda 2010 und der Hartz-Gesetzgebung wurde. Die Quittung für diese Abkehr von sozialdemokratischen Grundprinzipien hat er in den letzten Wochen bekommen; das hätte man der SPD kaum noch zugetraut. Wie sehr auch Angela Merkel von dieser Entwicklung , die ihre Regierungsfähigkeit auf eine schwere Probe zu stellen verspricht, getroffen ist, zeigte ihre einsilbige Stellungnahme. Zwar gibt es noch genügend in der SPD-Führung, die ihr die Stange zu halten bereit sind – und einen von ihnen hat sie gerade zum neuen Arbeitsminister gekürt, aber der Druck von unten hat sich beträchtlich verstärkt und wird wohl so schnell nicht nachlassen.
Müntefering jedoch sei gegönnt, dass er sich nun um seine Frau kümmern kann. Darüber hinaus aber wird er sich wohl demnächst wie andere abgetretene Politiker in die Riege der alten Politkommentatoren begeben, die plötzlich mit Verve ganz etwas anderes erzählen, als sie selbst praktizierten. Wie bei den Geißler und Blüm dürfte seine Partei dies mit ironischem Lächeln beobachten, ihn aber doch gewähren lassen. Denn nun kann er Schaden nicht mehr anrichten.