Niemand tut es gut, der in Panik Entscheidungen trifft oder handelt, schon gar nicht in der Politik. Das musste jetzt auch Roland Koch erfahren – sehr zur Schadenfreude seiner umfänglichen Gegnerschaft. Der hessische Ministerpräsident dümpelte in den Umfragen vor der Landtagswahl am 27. Januar lange in Bereichen, die einen Machtverlust signalisierten, und so suchte er zunehmend nervöser nach einem griffigen Wahlkampfthema, das diesen Trend umkehren könnte. Sonderlich einfallsreich war er dabei nicht, wollte lediglich sein einstiges Thema, das ihn an die Macht brachte, die doppelte Staatsbürgerschaft variieren und forderte forsch ein Burka-Verbot für moslemische Mädchen in Schulen. Zwar konnte keine einzige solche Bedroherin gesunden Deutschseins in Hessen ausgemacht werden, aber noch jüngst verteidigte Koch sein Vorhaben mit der Diktaturen entlehnten These, der Staat müsse auf alle möglichen Eventualitäten vorbereitet sein.
Als sich die Burka-Kampagne zum Flop entwickelte, ereignete sich der brutale Angriff in der Münchner U-Bahn, worüber der hessische CDU-Wahlkämpfer wohl nicht nur nach Meinung von SPD-Bundestagsfraktionschef Struck »von Herzen froh« gewesen sein mag, bot sie ihm doch endlich das Wahlkampfthema nach seinem Geschmack. Seitdem fällt ihm fast täglich eine neue Strafmaßnahme gegen jugendliche Gewalttäter – und darunter bevorzugt Ausländer oder solche »mit Migrationshintergrund« – ein. Aber auch dieser Amoklauf erwies sich bald als schlecht vorbereitet. In der Eile hatte niemand darauf geachtet, inwieweit in Hessen selbst schon alles getan wird, um Jugendkriminalität zu begrenzen. Und so stellte sich bald heraus, dass die meisten Probleme des Landes auf diesem Gebiet hausgemacht sind. Nicht nur stieg die Gewaltkriminalität mindestens wie anderswo im Lande, nach manchen Zählungen sogar überdruchschnittlich; in Hessen dauern auch die Gerichtsverfahren gegen jugendliche Straftäter am längsten und liegen Stellenkürzungen in Polizei und Justiz im vierstelligen Bereich. Auch die Erziehungsheime, die jetzt lauthals gefordert werden und die es in anderen Bundesländern längst gibt, sucht man im Reiche Roland Kochs vergebens.
Kein Wunder, dass sich die erhoffte Unterstützung für Kochs Amoklauf in Grenzen hielt. Vor allem die hessischen Wähler mochten nicht in Scharen zu ihm überlaufen. Eher im Gegenteil, denn während die CDU bei den 40 Prozent verharrt, die ihr die Demoskopen seit Wochen voraussagen, stiegen die SPD-Werte von 29 auf 36 Prozent. Und Koch reagierte noch nervöser, noch hektischer, forderte nun gar Gefängnisstrafen für Kinder unter 14 Jahren. Da mochte ihm selbst die eigene Partei nicht mehr folgen; er musste sich korrigieren. Und Angela Merkel, die ihm zunächst uneingeschränkte Unterstützung zugesagt hatte, weil sie an seiner Niederlage nicht schuld sein wollte, zog heute zwar verbrämt, aber doch deutlich Grenzen für den Wahlkämpfer aus Wiesbaden. Wobei es ihr wohl weniger um die verbalen Dissonanzen aus Kochs Panikorchester ging, als um das künftige Funktionieren der Berliner Koalition. Zwar fehlt es auch künftig nicht an der Bereitschaft der SPD, an der großen Koalition festzuhalten, aber allzu viele gegenseitige Beleidigungen vergiften nun einmal das Klima für Gespräche, in denen wie bisher vor allem Kompromisse gegen das Volk gefunden werden sollen.