Generalbundesanwältin Harms erfüllt beflissen die Erwartungen der Politik – auf Kosten ihrer juristischen Reputation
Sie gehören zu den gruseligsten Exponaten der Ausstellung in der Leipziger »Runden Ecke«. Hier, am Rande des Zentrums der Messestadt, hatte einst die Bezirksverwaltung der Staatssicherheit residiert. Nach der Wende wurde in ihrem trutzigen Gebäude ein Museum eingerichtet, das die Arbeit des DDR-Geheimdienstes und seine Methoden dokumentieren sollte. Und da stehen sie denn, jene Einweckgläser mit schmuddeligen Tüchern, die Verdächtigen bei Verhören auf die Stühle gelegt und danach auf diese Weise »archiviert« wurden, um später speziellen Suchhunden als Ausgangspunkt für ihre Schnüffelei zu dienen.
Sechs Mal zurückgepfiffen
Diese Asservate gelten seither als besonders abschreckende Beispiele für die Menschenverachtung eines diktatorischen Systems und seiner Helfer – nicht jedoch bei der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Sie bezeichnete diese Fahndungsmethode als »ganz normal« und wendet sie unbefangen an, wenn auch in modernisierter Form. Jetzt muss der Verdächtige ein steriles Edelstahlröhrchen einige Minuten in seiner Hand halten, dann wird es luftdicht verschlossen und für späteren Gebrauch eingelagert.
Auch im letzten Mai, auf dem Höhepunkt der Vorbereitungen zum G8-Gipfel, fand die »Geruchsspurensicherung« statt, als 900 Polizisten in einer Reihe deutscher Städte insgesamt 40 Wohnungen und andere Objekte durchsuchten – auf Weisung der Bundesanwaltschaft und laut »Frankfurter Allgemeine« mit dem Ziel, »ihre Informationsbasis zu verbreitern«. Konkrete Straftaten gegen G 8 lagen nicht vor, nicht einmal der Verfassungsschutz hatte etwas herausbekommen – also wurde zum großen Schlag ausgeholt, ohne Zweifel auch zum Zwecke der Einschüchterung. Computer wurden beschlagnahmt, Akten abtransportiert, Handys untersucht. Dazu die Duftproben als besonders unappetitliches Detail.
Inzwischen musste der Bundesgerichtshof (BGH) einräumen, dass die gesamte Aktion rechtswidrig war. Die Aktivitäten der G8-Gegner seien weder »nach ihrer Frequenz und Intensität noch nach ihren Auswirkungen geeignet, die Bundesrepublik Deutschland … erheblich zu schädigen« – eine der Voraussetzungen für ein entsprechendes Eingreifen der Bundesanwaltschaft. Außerdem habe die Anklagebehörde nicht genügend belegen können, dass es sich bei den Verdächtigen überhaupt um eine »terroristische Vereinigung« handelt. Inzwischen musste die Bundesanwaltschaft den Fall an die Staatsanwaltschaft Hamburg abgeben.
Deutsche Staatsanwälte galten noch nie als sonderlich sensible Naturen. Dafür jedoch konnte man sie in der Regel eindeutig dem eher rechten Spektrum der Republik zuordnen. Max Güde, oberster bundesdeutscher Ankläger von 1956 bis 1961, war noch 1940 Mitglied der NSDAP geworden; als Mitglied des BGH verantwortete er in den 50er Jahren das politische Strafrecht. Sein Nachfolger Wolfgang Fränkel blieb nur wenige Monate im Amt, war er doch in der Nazizeit nicht nur NSDAP-Mitglied, sondern Angehöriger von Freislers Reichsanwaltschaft und Landgerichtsdirektor sowie an zahlreichen Todesurteilen gegen Zwangsarbeiter beteiligt.
Siegfried Buback (1974 – 1977) hatte vor seiner Berufung in das Amt und der Beschäftigung mit der RAF, der er bei einem Mordanschlag zum Opfer fiel, unter anderem die Ermittlungen in der »Spiegel«-Affäre 1962 geleitet. Kurt Rebmann (1977 – 1990) nannte sich selbst einen Hardliner; er plädierte nicht nur für einen harten Umgang mit der RAF, sondern auch für weniger Nachsicht gegenüber Demonstranten und deren Blockadeaktionen. Ihm folgte Alexander von Stahl, der vor allem nach seiner Entlassung im Gefolge der blutigen Anti-RAF-Aktion in Bad Kleinen von sich reden machte – als Exponent nationalliberaler Kreise in der FDP, als Anwalt und Werbeträger der rechten Wochenschrift »Junge Freiheit«; vor einigen Jahren soll er sogar im Umfeld der NPD aufgetaucht sein.
Die gegenwärtige Amtsinhaberin Monika Harms passt sehr gut in dieses Muster. Nach ihrem Studium arbeitete die heute 61-Jährige als Staatsanwältin für Wirtschafts-strafsachen in Hamburg, ehe sie 1980 ins Richteramt wechselte. Bereits 1987 zur Bundesrichterin gewählt, wo sie für Verfahren zum Staatsschutz zuständig war, wurde Harms 1999, inzwischen zum 5. BGH-Strafsenat nach Leipzig gewechselt, dessen Vorsitzende. Hier bestätigte sie unter anderem das Urteil gegen Egon Krenz, Günter Schabowski und Günther Kleiber wegen der Todesschüsse an der Mauer. Das Urteil gegen Max Strauß, den Sohn des früheren bayerischen Ministerpräsidenten, wegen Steuerhinterziehung hob sie auf. Als Justizministerin Brigitte Zypries die Juristin auf Vorschlag der Union zur Generalbundesanwältin machte, hob sie zur Begründung auch deren Rolle bei der strafrechtlichen Aufarbeitung von Unrechtstaten in der DDR hervor.
Monika Harms trat 1969 der CDU bei, weil sie mit der Ostpolitik Willy Brandts nicht einverstanden war. Sie vertritt in vielen Fragen die konservative Linie ihrer Partei, hält wohl zum Beispiel derzeit wenig von deren Diskussion über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Denn selbst zwar verheiratet, aber kinderlos, sieht sie Frauen in bestimmten Führungspositionen nicht gern, auch nicht bei der Justiz. Es gehe nicht an, wird sie aus einer Talkshow zitiert, dass eine Staatsanwältin um halb zwölf mittags eine Sitzung verlasse, weil sie ihr Kind im Kindergarten abholen müsse.
Als besonders verfolgungswütig aber galt Monika Harms bislang nicht. Eher wurden ihr Pragmatismus und Unaufgeregtheit attestiert. Ihre Entscheidungen seit ihrer Berufung am 1. Juli 2006 sprechen allerdings eine andere Sprache. In sechs Fällen, so hat die Berliner »Tageszeitung« gezählt, wurde sie vom BGH zurückgepfiffen, zunächst noch verhalten, dann immer deutlicher. Es begann im Februar 2007, nachdem Harms ungeachtet der laufenden Debatte über die Zulässigkeit von Online-Durchsuchungen eine solche wegen Gefahr durch eine angebliche terroristische Vereinigung unter dem Deckmantel einer »Hausdurchsuchung« beantragt hatte. Kühl beschied sie der BGH, dass dafür jegliche Rechtsgrundlage fehle – eine Tatsache, die der obersten Anklägerin der Republik eigentlich geläufig sind müsste. Im Mai 2007 rügte der BGH, dass die Bundesanwaltschaft bei einem Islamisten schon die Befürwortung des Dschihad, des Heiligen Krieges, als Terrorismus werten wollte.
Kritik übte der Bundesgerichtshof auch am Vorgehen der Bundesanwälte gegen die »militante gruppe«, der 25 Brandanschläge gegen Fahrzeuge und Gebäude in Berlin und Brandenburg zur Last gelegt werden, weshalb man sie als terroristische Gruppe einstufte und vier Verdächtige festnahm. Darunter ein Soziologe, dessen »Verbrechen« einzig darin bestand, sich mit einem anderen Verdächtigen getroffen und in seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen Formulierungen verwendet zu haben, die auch in Bekennerschreiben der Brandstifter auftauchten.
Eilfertigkeit statt Augenmaß
Diesen Schluss von semantischen Ähnlichkeiten auf terroristische Strukturmerkmale wollte der BGH nicht mitgehen und verfügte die Freilassung des Soziologen. Einen Monat später ließ er auch die anderen drei frei und begründete, dass selbst nach dem umstrittenen Anti-Terror-Paragrafen 129a Anschläge gegen Sachen nicht geeignet seien, eine »erhebliche Schädigung der politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen der Bundesrepublik« zu erreichen.
Im letzten November schließlich wurde der Bundesanwaltschaft attestiert, dass eine von ihr angeordnete Briefkontrolle in Hamburg, die die Polizei in den Amtsräumen der Post vornahm, rechtswidrig war. Und im Dezember folgte die genannte Rüge, auch da die Razzia gegen gegen die G8-Kritiker der 2003 geänderten Rechtslage zum § 129a zuwiderläuft.
Für Augenmaß der Generalbundesanwältin spricht das alles nicht. Eher für einen Drang, bestimmten Erwartungen der Politik an ihre Behörde besonders eilfertig gerecht zu werden. In einer Zeit zunehmender sozialer Gegensätze wappnet sich das Establishment gegen die Artikulation wachsender Unzufriedenheit. Hans-Olaf Henkel, von 1995 bis 2000 Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, hat seine Befürchtungen kürzlich ungeschminkt vorgetragen: »Im neolinken Meinungsklima ist auch die scharfe Polarisierung von Bürgertum und Arbeiterschaft wieder salonfähig geworden. Von Karl Marx bis Oskar Lafontaine und jetzt auch Kurt Beck lockt sie die Unzufriedenen. Neid ist geil. Er nennt sich ›soziale Gerechtigkeit‹. Die Leistungsträger werden an den Pranger gestellt – wie in der nicht auf die SPD beschränkten Kampagne zum Thema Managergehälter – und mit immer neuen Steuern zur Kasse gebeten.«
Bangendes Bürgertum und starker Staat
Und so findet das »Bürgertum« plötzlich sogar Gefallen am Staat, den es sonst gern verteufelt. »Nur ein starker Staat kann individuelle Grund- und Freiheitsrechte verlässlich garantieren«, schrieb vor einiger Zeit die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«. »Nur so lassen sich Eigentums- und Verhaltensrechte und damit die Funktionsfähigkeit offener und freier Märkte sichern. Dazu greift der Staat auf Gerichte, Polizei und Streitkräfte zurück. Sie sorgen für die innere und äußere Sicher- heit …« Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte es bereits 2003 ähnlich, wenn auch nicht so offen formuliert: »Auf einen Punkt gebracht heißt das: weniger Staat in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, aber mehr Verantwortung des Staates in der Innen- und Außenpolitik.«
Monika Harms wäre eine schlechte Vertreterin dieser politischen Klasse, würde sie solche Fingerzeige nicht aufgreifen. Sie warnt vor einer »Ungleichbehandlung« von rechter und linker Gewalt und wirft dem BGH vor, dass er »die Gefahr aus dem Blick nimmt und mit feinen juristischen Überlegungen darzulegen versucht, dass alles nicht so schlimm ist«. Sie will fortsetzen, was bereits in den 1990er Jahren zu Ermittlungen gegen 1300 Personen wegen »Terrorverdachts« führte, aber nicht einmal in 40 Fällen zur Verurteilung reichte.
Denn sie ist ehrgeizig. »Frauen müssen alles doppelt so gut können wie Männer, um Erfolg zu haben«, sagte sie einmal und fügte selbstbewusst hinzu: »Aber das ist nicht schwer.« Schließlich hat sie die Unterstützung der Großen Koalition, die in schöner Einmütigkeit jede Kritik an ihr zurückwies. SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz hatte für die Opfer der willigen Advokatin sogar nur Zynismus übrig: Es sei nun einmal die Rolle der Generalbundesanwältin, »etwas forscher vorzugehen«.
(Gedruckt in: Neues Deutschland vom 18.01.2008)