Es kann gut sein, dass die Wähler am Sonntag in Hamburg nicht nur über ihre Bürgerschaft entscheiden, sondern auch über den künftigen Kurs der SPD. Denn nach den wohl bewusst sybillinischen Äußerungen der hessischen Parteivorsitzenden Andrea Ypsilanti und des Bundesparteichefs Kurt Beck über eine Ministerpräsidentenwahl in Wiesbaden, bei der Ypsilanti auch die sechs linken Stimmen im Landtag nicht verschmähen würde, können die Hamburger den Urnengang zum Referendum auch darüber machen. Über die Frage nämlich, ob die Sozialdemokraten mit den Linken unbefangener umgehen sollen – bis hin zur Prüfung einer mehr oder minder förmlichen Zusammenarbeit mit dieser Partei. Sollte eine überzeugende Zahl von Wählern der SPD trotz – oder gerade wegen – einer solchen Option ihre Stimme geben, dann könnten Ypsilanti und Beck am Montag vor die Parteigremien treten und selbstbewusst sagen: Na seht Ihr, es geht doch!
Das aber ist es gerade, was die Mehrheit der politischen Klasse in den anderen Parteien, aber auch in weiten Teilen der inzwischen ziemlich weit nach Rechts gerückten SPD, in den Medien und anderswo fürchtet wie der Teufel das Weihwasser – dass mit einer solchen Entscheidungsfrage und der Antwort an den Wahlurnen im eher bürgerlichen Hamburg eins der liebsten Klischees der alten Bundesrepublik auf den Müllhaufen der Geschichte befördert würde: die Mär von der kommunistischen Gefahr. Zwar ist diese bereits seit langem nur noch in den Köpfen Ewiggestriger präsent (worauf die Wähler in Hessen und Niedersachsen bereits eindrucksvoll verwiesen haben), doch wie sehr man sich daran noch klammert, zeigt die gegenwärtige scharfe antikommunistische Kampagne, die in Inhalt wie Form lebhaft an die Auseinandersetzunggen um die KPD zur Adenauerzeit erinnert und gestern in einer Bundestagsdebatte gipfelte, in der sich CDU, CSU, Grüne Und FDP im Schulterschluss gegen die »rote Gefahr« vereinigten; auch hier war die SPD trotz grundsätzlicher Übereinstimmung in der antikommunistischen Attitüde die Einzige, die sorgsam zwischen erklärten Kommunisten und dem Rest der Linkspartei differenzierte.
Dabei mögen bei Ypsilanti und Beck durchaus unterschiedliche Motive vorliegen; während Erstere – und mit ihr die Grünen, beide auch mit Blick auf ihre Wahlprogramme – vielleicht tatsächlich lieber auf die Linken Rücksicht nehmen würden als auf die neoliberale FDP, will Beck möglicherweise Letztere mit der Drohung ihrer Isolierung in einer Ampelkoalition zwingen, ohne die Ypsilanti-Variante gänzlich auszuschließen. Schließlich will er für seine Partei wieder Handlungsfähigkeit gewinnen; die apodiktische Aussage über Nichtbündnisse hat sie gelähmt – sehr zur Freude der politischen Konkurrenz, die deshalb auch besonders hartnäckig auf die Fortsetzung dieser für die SPD zerstörerischen Selbstfesselung dringt.
Der Sinneswandel der SPD mag – außer durch das hessische Patt – auch von der Erkenntnis befördert worden sein, dass die Linke offensichtlich trotz der geschichtslosen Äußerungen eines auf ihrer Liste in den niedersächsischen Landtag gewählten DKP-Mitgliedes in Hamburg wenig zu befürchten hat. Nach Umfragen wird sie mit ziemlicher Sicherheit in die Bürgerschaft einziehen; auch das ein Beweis, dass die jahrzehntelang spielbestimmende antikommunistische Karte fast zwanzig Jahre nach der Wende, die den Kommunismus als System weitgehend obsolet machte, nicht mehr zieht. Damit sind eigentlich alle anderen Parteien aufgerufen, ihre strategischen Positionen in der bundesdeutschen politischen Landschaft neu zu bestimmen. Dass damit ausgerechnet die SPD beginnt, mag aus den aktuellen Zwängen erklärlich sein; überraschend ist es dennoch.