Nach dem Wahlkampf in Hamburg tobt nun der Deutungskampf um Hamburg. Vor einer Woche wurde die SPD von den Demoskopen mit 34 (Forschungsgruppe Wahlen) bis 35 (Infratest-dimap) Prozent gehandelt; dass sie jetzt fast exakt dieses Ergebnis bekam, bewerten all jene, die ihr nach Kurt Becks Sinnieren über eine mögliche Wahl Andrea Ypsilantis zur hessischen Ministerpräsidentin mit den Stimmen der Linken eine Katastrophe vorausgesagt hatten, genau als eine solche. Sie tun so, als wäre die Naumann-SPD ohne Becks Äußerungen meilenweit an Ole von Beust vorbeigezogen, und selbst hochdotierte Parteienforscher wie Jürgen Falter erfinden abenteuerliche Erklärungsmuster, um ihren Irrtum zu verbergen.
Tatsächlich jedoch verrät dieses Resultat – und gerade das löst wohl die allgemeine Verunsicherung aus, dass mit der »roten Gefahr«, die vor allem CDU und FDP mangels besserer Argumente gebetsmühlenhaft beschworen, keine Mehrheiten mehr zu mobilisieren sind. Weder wurden der SPD machtpolitische Denkmodelle, die die Linken einschließen, übel genommen, noch schadeten der Linkspartei einige DKP-Mitglieder auf ihrer Liste, obwohl diese in der Propaganda unisono zum quasi linksextremistischen Nomenklatura-Sturmtrupp erklärt wurde. Denn auch die Linke erreichte ein Resultat, das bis auf einige Zehntelprozent den Voraussagen der Meinungsforscher vor gut einer Woche entsprach.
Dennoch glauben etliche im inzwischen ziemlich rechtslastigen SPD-Vorstand – ideologische Scheuklappen sind ein hartnäckig Ding, wie gerade ehemalige DDR-Bürger sehr gut wissen – eher Union, FDP und den ihnen verpflichteten Medien, die sich unter Führung der »Bild«-Zeitung in eine geradezu hysterische Kampagne hineinsteigerten. Zwar erklärte Kurt Beck trotzig, dass er mögliche Irritationen im Wahlkampf durch seine Äußerungen zu Hessen bedauere, zugleich aber keine Anzeichen dafür sehe, »dass in diesem Wahlergebnis ein merkbarer Effekt enthalten ist«, aber ob er das durchhält, steht dahin. Sein Generalsekretär Hubertus Heil ist jedenfalls unter dem breiten Grinsen seines CDU-Kollegen Pofalla bereits von der Fahne gegangen, und der Hamburger SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann machte auch schon deutlich klar, dass er nur mit Ole von Beust regieren will oder gar nicht.
Also wiederholt sich wohl in Hamburg das hessische Trauerspiel – sehr zur Freude übrigens der Grün-Alternativen Liste. Sie hat schnell erkannt, dass nun sie das Zünglein an der Waage ist. Ob sie allerdings daraus etwas Positives für Hamburg macht, bleibt nach ihrem opportunistischen Kurs der letzten Jahre hinein in die bürgerliche Mitte abzuwarten.