Da hat Andrea Ypsilanti ihre Partei wohl ziemlich überschätzt. Die westdeutsche SPD, hier vertreten durch die hessische, ist einfach noch nicht so weit, zu einer wirklich linken Politik zurückzukehren. Zunächst wird noch die Linkspartei mit ihrer als schmuddelig empfundenen Vergangenheit als Grund genannt – und möglicherweise vorgeschoben. Doch sehr schnell dürfte sich zeigen, das das eigentliche Problem für Ypsilanti ihre linken, auf soziale Gerechtigkeit zielenden, also traditionell sozialdemokratischen Positionen sind, die sie im Wahlkampf vertreten hat und für die sie von den Wählern mit einem starken Ergebnis belohnt wurde.
Insofern ist ihre Kehrtwendung, nun mit ihrem Programm in den Landtag zu gehen und sich für konkrete Anträge Mehrheiten zu suchen, nur konsequent und der wohl noch einzig mögliche Weg, dem Willen der Wähler so weit wie möglich zu entsprechen. Und gleichzeitig fördert er den innerparteilichen Klärungsprozess in der SPD. Denn wenn Ypsilanti ihre Wahlversprechungen zur Abstimmung stellt, müssen sich all jene, die sich zur Mehrheit links von CDU und FDP zählen, dazu bekennen.. Tun sie es nicht, wird klar, dass das Experiment einer Linksmehrheit nicht so sehr am Verhalten gegenüber der Linkspartei gescheitert ist als am Unwillen der SPD, tatsächlich eine linke, an den Interessen der Schwachen in der Gesellschaft orientierte Politik zu betreiben.
Anzeichen dafür, dass dem rechten Flügel der SPD neben Andrea Ypsilantis Flirt mit den Linken vor allem ihre inhaltliche Ausrichtung nicht passt, gab es schon genügend. Die Parteirechten werden nach ihrem ersten Erfolg nun versuchen, die hessische Parteivorsitzende weiter zu demontieren und zum Rücktritt zu zwingen, um einem ihnen nahe stehenden Politiker – wie Ypsilantis innerparteilichem Rivalen Walter – den Weg zu einem Arrangement mit der CDU zu bahnen, natürlich verbunden mit der Aufgabe wesentlicher im Wahlkampf vertretener Positionen der SPD. Dieser Wortbruch gegenüber dem Wähler wird dann als »Realpolitik« – und wie nach der Bundestagswahl 2005 – sogar als Wählerwille verkauft werden. Ypsilanti kann dem nur ihre Standfestigkeit entgegensetzen – und die Hoffnung, dass ihr ihre Fraktion, wenn schon nicht personell und koalitionspolitisch, so doch inhaltlich folgt.
Die SPD steht – und zwar nicht nur in Hessen – weiterhin am Scheideweg. Noch ist ihr künftiger Kurs nicht entschieden. Alleiniger Sieger der bisherigen Entwicklung seit der Hessen-Wahl ist die Linkspartei. Sie hat die SPD nicht nur dazu gezwungen, ihr Verhältnis zur neuen Konkurrenz an ihrer linken Seite zu diskutieren und wohl auch entgültig zu entscheiden. Sie kann darüber hinaus die weitere Entwicklung ruhig abwarten und durch kluges Handeln, zum Beispiel im hessischen Landtag, in ihrem Sinne befördern. Die Chance, in eine solch komfortable Situation zu kommen, haben ihr Kurt Beck und Andrea Ypsilanti durch ihre ideologisch geprägten und damit unprofessionellen Festlegungen vor der Wahl verschafft. Dass sie jetzt dafür schwer büßen müssen, ist nur gerecht.