Seit den Tagen der DDR hat sich eine deutsche Medienlandschaft – selbst die sich links verstehende Wochenzeitung »Freitag« ist davon nicht frei – nicht mehr so einmütig – und damit einseitig – gegen einen »Feind« formiert wie gegenwärtig bei der Behandlung der Situation in Tibet. Wie im kruden Parteijournalismus steht auch jetzt in der Berichterstattung darüber von vornherein fest, wer der Gute und wer der Böse ist. Differenzierung und Zwischentöne, stets der Ausweis wirklichkeitsnaher Information, sind Fehlanzeige.
Das bedeutet nicht nur, dass alles, was nicht in dieses propagandistische Bild passt, zum Beispiel gewaltsame Ausschreitungen tibetischer Jugendlicher gegen Chinesen, bagatellisiert und faktisch gerechtfertigt wird – eine Großzügigkeit gegenüber Gewalt, die bei vergleichbaren Vorfällen anderswo und auch hierzulande natürlich – mit Recht – nicht geübt wird. Es bedeutet auch, dass die chinesischen Behörden tun oder lassen können, was sie wollen – es ist immer falsch. Werden Journalisten aus Tibet ausgewiesen, ist das Willkür, dürfen einige zurückkehren, sind sie »handverlesen«. Wird Kritik an der chinesischen Tibetpolitik brutal unterbunden, kann die Empörung nicht groß genug sein. Lässt man aber – wie jetzt in Lhasa – rebellische Mönche ausführlich gegenüber den »handverlesenen« Journalisten zu Wort kommen, gilt das lediglich als eine große Blamage für Peking, weil als Beleg, dass die chinesischen Sicherheitsleute den Protest eben doch nicht verhindern konnten.
Diese parteiliche Sicht ist umso auffälliger, weil sie ihr spiegelbildliches Pendant auf der anderen, der chinesischen Seite, hat. Dort wird die Situation in Tibet genau umgekehrt gesehen – doch von China mit seinem vulgärsozialistischen, totalitären Medienverständnis hatte man nichts anderes erwartet; dass aber »freien Medien« mit ihrem pluralistischem Anspruch auch nichts anderes einfällt, verblüfft dann doch. Ein realistisches, was auch heißt widersprüchliches Bild der Lage in Tibet erforderte zum Beispiel die ungeschminkte Darstellung der Lebenslage der Tibeter in Vergangenheit wie Gegenwart, die Reflexion der Rolle der tibetischen Religion im Leben der Menschen, der von ihr ausgehenden Faszination ebenso wie ihrer mittelalterlichen, menschenfeindlichen Züge. Es wäre zu untersuchen, warum zu Friedfertigkeit erzogene Mönche in Gewalt explodierten, welche Rolle dabei zum einen die rücksichtslose Modernisierung durch den chinesischen Turbo-Kapitalismus und zum anderen die große Gemeinde der Exil-Tibeter spielte, die längst nicht mehr die strengen religiösen Traditionen lebt. Viele weitere Fragen ließen sich denken; auf sie alle wird in den Medien so gut wie nicht eingegangen. Statt dessen vordergründige Stimmungsmache, oberflächliche Interpretation und kurzschlüssige Urteile, denn Leser, Hörer und Zuschauer nur glauben oder nicht glauben können; zur eigenen Meinungsbildung erhalten sie keine Hilfestellung.
Dabei steht nicht zur Debatte, dass China etwa richtig mit den Tibetern umgehe, nur zum Wohle dieses Landesteils agiere; diesbezügliche Fehlentwicklungen und Überreaktionen gehören ebenso in ein zutreffendes Gesamtbild. Das aber kann nur stimmig sein, wenn es nicht im Schwarz-Weiß-Kontrast gehalten ist, sondern alle Schattierungen und Abstufungen aufweist, die nun einmal unsere Wirklichkeit auch ausmachen. Mit einer in Zeiten des »kalten Krieges« eingeübten ideologischen Betrachtungsweise ist das allerdings nicht zu leisten.
Es stimmt zwar schon, das die Sichtweise der westeuropäischen Medien sehr China-kritisch und teils vorverurteilend sind, doch wird zumeist immerhin die chinesische Sichtweise angegeben, meist indem die Nachrichtenargentur Xinhua zitiert wird. Umgekehrt wird die Kritik zensiert und gefiltert, sodass man sich darüber nun streiten kann, ob Chinas Sichtweise soviel richtiger ist, wenn die Regierung ihren eigenen Bürgern nicht zubilligen will, selbst zu entscheiden, welche Sichtweise die richtige ist. Mehr: http://blog.maphry.de/?p=8