Das bürgerliche Lager, zu dem man bislang Union und FDP zählte, hat mindestens seit einem Jahrzehnt Schwierigkeiten, parlamentarische Mehrheiten im Bund, aber auch den Ländern zu gewinnen. Einige wenige Ausnahmen – wie letzthin in Niedersachen – bestätigen diese Regel, die sich durch den bundesweiten Aufschwung der Linkspartei noch verfestigen dürfte. Links von CDU/CSU und Freidemokraten wächst dagegen eine Mehrheit heran, die inzwischen schon manche Strategen des genannten bürgerlichen Lagers über Veränderungen des Wahlrechts nachdenken lässt, mit denen sich dieser Trend vielleicht neutralisieren ließe.
Vorerst jedoch scheint den Parteien rechts vom bürgerlichen Block eine andere Option Erfolg versprechender. Sie versuchen, ihr Bataillone dadurch zu stärken, dass sie ihnen neue Kräfte zuführen. Kräfte, die sich bisher als links von Union und FDP definierten, nach mehreren Häutungen jedoch ihren eigentlichen Kern wiederentdecken – und sich freuen, dass dieser Kern bürgerlich ist. Die Rede ist von der Partei der Grünen.
Tatsächlich gab es in der Gründungsphase der grünen Partei eine starke konservative Strömung, die sich damals deshalb nicht durchsetzen konnte, weil die bundesrepublikanische Gesellschaft mit CDU, CSU, FDP und der Helmut-Schmidt-SPD auf der rechten Seite gut aufgestellt war. Hier wurde eine weitere Kraft nicht gebraucht, während gerade diese Situation nach einer Alternative auf der Linken rief. Dafür boten sich die Grünen an, und das prägte über Jahrzehnte hinweg ihre politische Ausrichtung, ohne dass ihr bürgerliches Element dabei zerrieben wurde. Es blieb stets ein beachtenswerter Bestandteil ihrer Politik; nur so war es letztlich möglich, dass die Partei in ihrer immer noch jungen Geschichte zahlreiche Schwenks weg von einst anscheinend ehernen Grundsätzen vollziehen konnte vor allem in der Friedenspolitik (Fischer), aber auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik (Zustimmung zu Schröders Agenda 2010) und nun in Hamburg sogar in der Umweltpolitik, ihrem einstigen Alleinstellungsmerkmal. Sie stimmten dort der Elbevertiefung zu und legten sich zum Bau des Kohlekraftwerks Moorburg nicht fest, was wohl auf den Fortgang der schon eingeleiteten Arbeiten hinausläuft – beides ursprünglich unverhandelbare Essentials der Grünen.
Zwar ist die einst alternative Partei noch längst nicht in ihrer Gesamtheit im bürgerlichen Lager angekommen, doch der Trend ist unübersehbar. Die CDU, die ein geradezu existenzielles Interesse am Wechsel der Grünen an ihre Seite hat, beweist derzeit eine erstaunliche Geschmeidigkeit im Werben um die früher als gegnerische, sogar feindliche Kraft verteufelte Partei. Nach Hamburg wird nun vor allem die CDU in Nordrhein-Westfalen darauf hoffen, nach der nächsten Landtagswahl mit den Grünen ins Geschäft zu kommen – und das dort mit ähnlich guten Aussichten wie in Berlin, wo die gegenwärtigen Oppositionsparteien CDU, FDP und Grüne beträchtlichen Ehrgeiz entwickeln, nach Schwarz-Grün auch die Jamaika-Koalition hoffähig zu machen und damit die grüne Verstärkung des bürgerlichen Lagers zu vollenden. Sogar solche konservativen CDU-Landesverbände wie in Baden-Württemberg und Hessen bauen auf eine Zufuhr grünen Blutes zur Absicherung der bürgerlichen Machtbasis.
Wieder einmal erweist sich die Manövrierfähigkeit des herrschenden Systems, das bis an die Grenze des eigenen Selbstverständnisses zu gehen bereit ist, wenn es darum geht, mit neuen Kräften alte Mehrheiten wiederherzustellen.
Die spannende Frage bei diesem politischen „Bäumchen-wechsel-dich“-Spiel ist nun, ob es den geschmeidigen Politikern des um die Grünen-Partei erweiterten bürgerlichen Lagers gelingt, innerhalb der (nicht unverrückbaren) Systemgrenzen von formaler Demokratie und Rechtsstaatlichkeit die Linkspartei kleinzuhalten und den „Störfaktor“ Wahlbürger „auf Linie zu trimmen“ bzw. ihm sein verbrieftes Wahlrecht derart zu verdrießen, daß es nicht hinreichend – d.h. (system-)kritisch – ausgeübt wird.