Im fränkischen Bad Rodach ticken seit über zwei Jahrzehnten die Uhren wieder einheitlich. Nachtwächter verkünden dem Gast die alte und neue Zeit mit ihren oft gar erschröcklichen Begebenheiten. An der einst deutsch-deutschen Grenze wird sichtbar, wie aktuell regionale Geschichte sein kann. Zu der auch die Stadt Coburg mit ihrer Veste zählt.
Report von Rudolf Hempel aus einer Region mit Vergangenheit und Zukunft – 2. Teil
Im vergangenen August erhielt der Blogsgesang-Leser die unter Geschichtsbuch/Kulturbuch veröffentlichte ganz und gar verwunderliche und bemer-kenswerte Kunde von einer Reise erlebnisorientierter Berliner Journalisten ins fränkischen Bad Rodach. Zu einem Ort jenseits der thüringischen Grenze, von dem während der deutschen Teilung die sonderbare Rede ging „Im Norden, Westen und Süden war Osten, nur im Osten war Westen“.
Fachwerkromantik, Kurklinik und Thermalbad, ein schön aufpolierter Marktplatz mit inhaltsreichem Heimatmuseum, der Runde Turm und die Nachwächter, eine Waldbühne in Heldritt, Hotels und Restaurants. Von vielerlei Begegnungen mit gastfreundlichen Menschen, die dieser Region ihre personelle Prägung geben, war des Berichtes erster Teil.
Dem nun ein zweiter folgt, der auf seine Weise einen Hinweis vermittelt auch auf die 230 000 jährlichen Gästeüber- nachtungen. Und der uns dorthin führen soll, wo die Geschichte einer Region in Franken und Thüringen sichtbar wird, die 40 Jahre lang geteilt war. „Bad Rodach – da leb ich gern!“ – dieser Wegweiser führt in einer sanften, hügeligen Land-schaft zum Zweiländermuseum Rodach-tal. Dorthin kann man auf vielerlei Art und Weise gelangen. Touristen aus ferner Gegend benutzen gern den eigenen PKW, Wanderfreunde gehen auf „Grenzgängertour“, andere Besucher nehmen das Fahrrad. Es ist aber auch denkbar, sich mit „Borderland Tours“ in eine Region zu begeben, in der sich die Natur – aus Teilungsgründen – lange Zeit weitgehend unberührt entwickeln konnte.
Der Rundgang durch die im ländlichen Fachwerk errichtete Gedenkstätte zeigt dem Besucher eine auch in seinem geogra-fischen Bezug darge-stellte Region um das Jahr 1900. Dem gesellschaftliche, politische, technische und wirt-schaftliche Umwälzungen bis ins 21. Jahrhundert folgen. Im Zentrum bleibt dabei immer das Erlebnis der Menschen in ihren Dörfern und kleinen Städten. Am Beispiel von Fotos, Dokumenten, Bildern, Landkarten und diversen Unikaten wird sichtbar, wie es im Kaiserreich mit Kindheit und Bildung bestellt war, welche technischen Aspekte den Ersten Weltkrieg begleiteten, wie das „gewöhnliche Volk“ in der Weimarer Republik und im Dritten Reich lebte.
Auf die Planwirtschaft sollte die Marktwirtschaft folgen. Mit dieser historischen Logik kommen auch die Friedliche Revolution und die Grenzöffnung 1989 ins Blickfeld. Ein Foto zeigt Demon-stranten mit einem selbstgebauten Holz-plakat: „Holzhausen liegt am Arsch der Welt, nun wird es Zeit, das die Grenze fällt!“
Ein Gedenkstein zeigt das Foto mit der Bildunterschrift: Früherer Standort der Kirche – Abriss Januar 1965.
Dann auf dem Friedhof die Begegnung mit einem älteren Ehepaar. Angereist von weiter her, pflegen sie das Grab eines entfernten Verwandten. Das Gespräch macht unsichtbar sichtbar, dass und wie die Geschichte der Deutschen mitten durch die Familien gegangen ist. Bei Adelhausen überquert der Besucher erneut das Grüne Band und somit eine der ersten Grenzübergänge der Region: Hier wurde am 18. November 1989 die alte Verbindungsstraße zwischen Hildburghausen und Coburg wieder geöffnet.
Tafel, Gedenkstein, Zufallsbegegnung und Grenzübergang rühren den Besucher an Herz, Gemüt und Gewissen, aber auch an das Verständnis von der Geschichte seines Volkes. An der er – auf die eine oder andere Weise – direkt oder auch nur mittelbar beteiligt gewesen ist
Geschichte in reich-lichem Maße begegnet den Journalisten aus Berlin auch in Coburg. Nur 17 Kilometer beträgt die Entfernung von Bad Rodach in die Residenz-stadt des einsti-gen Herzogtums Sachsen-Coburg und Gotha, die mit einer geschickten Heirats-politik die Herrscherhäuer Europas eroberte. Als die berühmteste Hochzeit gilt die zwischen Queen Victoria von Großbritannien und Prinz Albert von Sachsen-Coburg geschlossene. Im Übrigen spiegeln die Herzogschlösser Veste Coburg, Ehrenburg, Callenberg und Rosenau die Geschichte mit einer Vielzahl attraktiver Sachzeugen und Dokumente eindrucksvoll wider.
Mit ihren Gebäuden, Türmen, Wehrmauern und Bastionen zählt Insonderheit die Veste Coburg zu den größten Burganlagen Deutschlands. Martin Luther fand hier fast ein halbes Jahr Zuflucht. Allhier arbeitete er an der Übersetzung von Teilen der Bibel, verfasst Bekennt-nisse und Streitschriften. Natürlich hat er auch gepredigt – über die Osterfeiertage des Jahres 1530 in der Kirche St. Moritz.
Vom Walzerkönig Johann Strauss geht die Mär, er sei aus Liebe Coburger Bürger geworden. Bedeu-tende Kunstsammlungen – Gemälde, Kupferstiche, Waffen, Rüstungen, Kutschen. Puppen und Spielzeug – ziehen die Besucher an. Das Weihnachtsmuseum und das Europäische Museum für Modernes Glas nicht zu vergessen. Zu Kriegsende hatte es gegen die Veste Artilleriebeschuss und nachfolgend schwere Bau- und Sachschäden gegeben. Schon ab 1946 begannen die Instandsetzungs- Restaurierungs- und Konservierungsarbeiten unter Leitung der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen.
Das ganze Jahr über macht der Coburger Markt mit seiner Vielzahl von Ständen von sich reden. Hier werden nicht nur in Hülle und Fülle Obst, Gemüse, Pflanzen und schöne Blumen, sondern beispielsweise auch die vorzügliche fränkische Bratwurst angeboten. Als Events der besonderen Art gelten Kloßmarkt, Zwie-belmarkt, Martinimarkt und Weihnachtsmarkt, nicht zu vergessen die Museumsnacht im Mai. Feste sind dem Frühling, den Puppen, dem Vogelschießen oder auch der Samba gewidmet – jeweils im Juli ziehen die Tänze ihr Publikum aus aller Welt in ihren Bann.
Die „andere Seite“ von Coburg
Zur „positiven“ Geschichte Coburgs, über die ein Anzahl qualifizierter Gästeführer rund um das Jahr Auskunft geben, gehören zweifellos all die glänzenden Zeugnisse herzoglicher Existenzen, von der auch das eine oder andere Denkmal an zentraler Stelle des Ortes Auskunft gibt.
In der öffentlichen Wahrnehmung weniger beachtet ist ein anderes historische Faktum. In der oberfränkischen Stadt stellten die Nazis schon 1929 (!) reichsweit den ersten Bürgermeister und die Mehrheit im Stadtrat. Auf diesen alles andere als rühmenswerten Umstand macht der Beitrag „Stolz und Wut auf einen Helden“ aufmerksam, veröffentlicht am 21. Juli 2011 im Neuen Deutschland. Darin geht es um das schwer ertragbare Erbe von Frauke Hansen als Tochter eines im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 hingerichteten Oberst Hansen.
In diesem Kontext ergibt sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung die Frage, ob reicht, was die Stadt Coburg (Ausstellung in der Stadtbibliothek 2010, Stolperstein) unternimmt, um den heimischen Widerstandskämpfer zu ehren. Vielleicht tragen die langjährigen Nachforschungen der Historikerin Franziska Bartl eines Tages dazu bei, „dass es in Coburg doch noch eine Hansen-Straße gibt.“ Darauf könnten dann die Stadtführer ebenfalls Bezug nehmen.
Auch in diesem „Fall“ geht es also, ähnlich wie im Zweiländermuseum Rodachtal, um deutsche Geschichte und ihre Aktualität. Eine Herausforderung auf andere Art nicht geringer.
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Wem diese Erinnerungen an den Besuch in der fränkischen Region nicht ausreichen, der möge einen Blick auf das Reiseblog von fünf Studierenden der European School of Design aus Frankfurt werfen, die sich für einige Tage aufgemacht hatten, die thüringisch-bayerische Grenzregion und das gesamte Rodachtal zu erkunden und Ihre Eindrücke und Erlebnisse festzuhalten – oder sich vertrauensvoll direkt an eine dort zuständige Person wenden. Sie hat maßgeblich zum Erfolg dieser hier nur in Umrissen beschriebenen Exkursion in ein „unbekanntes Gebiet“ beigetragen, das dem Reporter nun um vieles näher ist: Gabriele Lippmann ThermeNatur, Thermalbadstraße 18, 96476 Bad Rodach, Tel./Fax: 095649232-20/12; Mobil 0151-12147689. gabriele.lippmann@bad-rodach.de. Jeder Besucher ist ihr herzlich willkommen…
Wessen Bedarf nach spannungsgeladener Regionalgeschichte mit dem Besuch des Museums noch nicht gedeckt ist, kann sich auf die Außenroute des Zweiländermuseums begeben. Elf Stationen zeigen unterschiedliche Aspekte des Lebens im Sperrgebiet, vom Aufbau der Grenzanlagen und der Aktion „Ungeziefer“ im Jahre 1952.