(pri) So sehr auch die eben zu Ende gegangenen Olympischen Sommerspiele in London bejubelt werden, so wenig lässt sich dahinter verbergen, dass es nicht in erster Linie ihr sportlicher Ertrag ist, der die Lobeshymnen auslöste, sondern vielmehr die gigantische Werbeshow, zu der Olympia letztlich nur den willkommenen Anlass bot. Dabei waren die sportlichen Leistungen der Londoner Tage von allerbester Güte, und einige von ihnen ließen denn doch etwas von der olympischen Idee des fairen Wettstreits um Höchstleistungen ahnen – auch wenn sie sich dazu nicht selten der Mittel der großen Show bedienen mussten; siehe Usain Bolt oder Robert Harting. Die Organisatoren taten jedoch alles, den Sport hinter ihren Werbebotschaften verschwinden zu lassen, die olympische Idee durch Marketing zu ersetzen.
Schon die Eröffnungsveranstaltung geriet zur Selbstdarstellung des United Kingdom, die seine Erfolge mit großem Aufwand herausstellte, dunkle Seiten der groß-britischen Geschichte wie etwa ihre koloniale Vergangenheit jedoch stark unterbelichtete. Die Sportler, die mit ihrem Einmarsch über eine Stunde warten mussten, erschienen in solcher Szenerie eher als Störfaktor denn als Hauptsache. Noch stärker sichtbar war dies beim Abschlussspektakel, einem gigantischem Popkonzert, bei dem nicht einmal der Versuch eines Bezugs zum Sport gemacht wurde. Stattdessen viel Technik und eine Musik, die sich auf die Hits der Vergangenheit verließ, statt Neues zu kreieren, das den olympischen Gedanken aufnahm. Die Sportler gerieten nun endgültig zur Komparserie, zur Klatschkulisse, was die Medien zumeist ganz in Ordnung fanden. Mehr noch, manche mäkelten lediglich, dass die Kommentaren von Eurosport sich nicht rechtzeitig zu Pop-Experten hatten qualifizieren lassen..
Mit dieser Orientierung auf die Mainstream-Show, die in der westlichen Welt längst austauschbar geworden ist und im Grunde nichts über die Kultur des Olympialandes verrät, wollte sich London auch ganz bewusst vom Vorgänger Peking absetzen. So viel Kritisches über die chinesische Präsentation von 2008 zu sagen ist; sie eröffnete dem Betrachter aber eine neue, ihm bislang weitgehend unbekannte und unverständliche Welt, während es London genügte, sich für Altbekanntes und wenig Innovatives einen neuen Superlativ auszudenken. Unterschwellig klang auch stets durch, wie frei und unkontrolliert sich die Sportler in London bewegen konnten. Nur dann, wenn etwa der frisch gekürte Olympiasieger Harting berichtete, dass er nach Verlust seiner Akkreditierungspapiere weder den Olympia-Shuttle benutzen noch gar das Olympiadorf betreten durfte, sondern vor der Tür schlafen musste, wurde klar, wie sehr das britische Sicherheitskonzept dem damaligen chinesischen glich, was freilich die Medien hinsichtlich Londons ausblendeten.
Doch nicht nur der olympische Ausrichter nutzte das Weltsportfest für nationale Selbstbespiegelung; auch die Bundesrepublik sah darin eine günstige Gelegenheit, die erstrebte neue Führungsrolle ins rechte Licht zu rücken. Auch im Sport sollte schließlich überall »deutsch gesprochen« werden, weshalb man sich eines probaten Mittels der Olympiaplanung der DDR besann, der Zielvorgabe. Doch was beim verblichenen deutschen Staat jahrzehntelang zwar nicht vollkommen, aber doch weitgehend gelang, wurde bei der Bundesrepublik zum Rohrkrepierer, denn statt der 84 angepeilten Medaillen kam man »nur« auf gerade die Hälfte. Das hinderte freilich fast sämtliche deutsche Olympiaberichterstatter nicht daran, in ihren Reportagen den Eindruck zu erwecken, als werde in London tatsächlich nur Deutsch gesprochen. Während jede im Vorlauf ausgeschiedene Sprinterin prominent vor der Fernsehkamera zu Wort kam, war nicht selten kaum festzustellen, wer den jeweiligen Wettkampf gerade gewonnen hatte. Wer wirklich über den olympischen Sport informiert sein wollte, musste auf die Livestreams der Fernsehsender oder Eurosport ausweichen. Auf die Kommentare der Öffentlich-Rechtlichen mit ihrer begrenzten Sachkenntnis konnte man getrost verzichten, vor allem dann, wenn sie mit dem Finger auf die vermeintlichen »Versager« zeigten oder gar die Kampfrichter für ausgebliebene deutsche Medaillen verantwortlich machten.
So bleibt unter dem Strich, dass auch Olympia der allgemeinen Boulevardisierung des kulturellen Lebens, zu dem der Sport als Körperkultur schließlich gehört, nicht entgehen kann. Kommerzielle Interessen haben ihn längst im Griff; nun ist er auf dem Weg, nicht nur wie jede andere Show gnadenlos vermarktet zu werden, sondern letztlich nur noch als Werbemittel für welches Produkt auch immer zu dienen.