(pri) Dass die SPD in eine große Koalition geht, daran besteht kaum ein Zweifel. Das müsste kein Problem sein, ist es aber, wenn man den in den letzten zehn Jahren aufgewachsenen Zustand der Sozialdemokratie in Rechnung stellt. Denn die SPD hat sich unter ihrer derzeitigen Führung jedes Alternativdenken abgewöhnt, folgt vielmehr beflissen den Vorgaben der rechts von ihr agierenden Parteien und lässt eigenen Gestaltungswillen vermissen.
Begonnen hat dieser Prozess nach dem knappen Wahlsieg von Rot-Grün 2002 mit dem Umschwenken in die unsoziale Politik der Agenda 2010 und die Hartz-IV-Gesetzgebung. Folgerichtig führte dieser Kurs in die Wahlniederlage 2005, die jedoch die damalige SPD-Führung – die Schröder-Vertrauten Steinmeier, Müntefering und Steinbrück – nicht zum Umdenken veranlasste, sondern geradewegs in die große Koalition führte – mit weiteren sozialen Grausamkeiten wie der Aufstockung der Mehrwertsteuer und der Erhöhung des Rentenalters. Diese Führung ging daran, die Partei endgültig auf einen konservativen Kurs festzulegen. Zwar gab es dagegen auch Widerstand, doch die rechten Bataillone der Führungsspitze, vor allem der Seeheimer Kreis, waren inzwischen stark genug, um jedem Linkstrend entgegenzuwirken. Selbst zaghafte Versuche in diese Richtung, wie sie der zeitweilige Vorsitzende Kurt Beck 2008 ins Auge fasste, wurden brutal torpediert, und wieder war das Resultat absehbar – das schlechteste Wahlergebnis der SPD seit Bestehen der Bundesrepublik 2009.
Doch die gescheiterte Führung hatte nach dem Debakel nichts Besseres zu tun, als ihre Positionen in der Partei abzusichern. Im Handstreich ließ sich Steinmeier zum Fraktionschef bestimmen, und unter seiner Führung musste sich Angela Merkel nie Sorgen um ihre Mehrheit machen. Immer wenn es für sie knapp wurde, stand die SPD – wie auch die Grünen – als Mehrheitsbeschaffer bereit. Mit der Inthronisierung Peer Steinbrücks als Kanzlerkandidat sollte diese konservative Linie auch über den Wahltag und die absehbare Niederlage von Rot-Grün hinaus abgesichert werden. Nach dem Urteil der südhessischen Jusos hat die SPD nach 2009 »die große Koalition de facto von der Oppositionsbank aus fortgeführt«, was der SPD bei der jüngsten Bundestagswahl lediglich eine Stabilisierung auf niedrigem Niveau brachte und damit zugleich ihre Behauptung Lügen strafte, der Absturz 2009 sei dadurch zustande gekommen, dass Angela Merkel von der SPD organisierte »Erfolge« der großen Koalition nach 2005 für sich reklamiert habe. Tatsächlich jedoch ging jenem Personal, das eine solche informelle große Koalition betrieb, jede Glaubwürdigkeit ab, als sie ankündige, nach der Wahl einen Politikwechsel einleiten zu wollen.
Für die Führung ist die Entscheidung für eine große Koalition längst gefallen; was auf dem Weg dahin passiert, ist allein Taktik, um bei der Mitgliederbefragung eine Mehrheit sicherzustellen. Die großen Worte von »gleicher Augenhöhe« erweisen sich bereits als hohl, vom viel beschworenen Selbstbewusstsein der Sozialdemokraten ist nichts zu spüren. Ironischerweise war es ausgerechnet die Linkspartei, die der SPD einen Weg aufzeigte, trotz ihres Dilemmas eine selbstbewusste Politik zu betreiben.
Mit dem Vorschlag an SPD und Grüne, in den Monaten vor der Regierungsbildung den von allen drei Parteien geforderten Mindestlohn gegen die ablehnende Union zu beschließen, hätten die Sozialdemokraten ein Mittel in der Hand, sich wenigstens symbolisch von der demütigenden Unterordnung unter CDU und CSU zu emanzipieren. Eine für die gegenwärtige SPD-Führung freilich undenkbare Vorstellung, und nicht nur, weil das Ganze die Linkspartei vorschlug. Eine solche Möglichkeit zu eigener Gestaltung, zur Durchsetzung sozialdemokratischer Ziele ist dem derzeitigen Führungspersonal zutiefst fremd. Folglich wies man solche »Spielchen« empört zurück.
Noch ehe überhaupt über die nun wieder formelle große Koalition verhandelt wird, bietet sich die SPD bereits als der brave und unterwürfige Partner an, der sie auch in den Jahren ohne Regierungsämter stets sein wollte. Dabei hätte ein solches »Spielchen« besser als alles Wortgeklingel die SPD tatsächlich auf »Augenhöhe« mit CDU und CSU bringen können und damit die Union zwingen sich dazu zu verhalten, was wohl hieße, es zu akzeptieren, um die große Koalition nicht zu gefährden.
Da zeigen die christlichen Parteien ganz anderes Format. Als es jetzt darum ging, die tief verunsicherte SPD erst einmal an den Tisch zu bekommen, signalisierte sie vage Bewegung in der Steuerfrage und wusste zugleich, dass postwendend scharfer Widerspruch aus den eigenen Reihen kommen würde. Dieser Versuchsballon genügte, um die SPD zu Sondierungen bereit zu machen, wobei die Union eiskalt kalkulierte, dass so eine Dynamik in Gang gesetzt wird, der sich kaum entziehen kann, wer ja doch keine Alternative hat. Folgerichtig fing sie die Steuerdebatte wieder ein und erhöhte zugleich den Druck auf die SPD, die ihre starken Worte schnell vergaß und laut über Kompromisse nachzudenken begann.
Die große Koalition ist auch deshalb allererste Option für die derzeitige SPD-Führung, weil sie sie des Zwanges enthebt, sich in absehbarer Zeit neu gegenüber der Linkspartei zu verhalten. Sie zementiert damit zwar ihre Juniorposition gegenüber der Union, aber das erscheint noch immer als das kleinere Übel gegenüber einer Anerkennung der Linken als natürlicher Wettbewerber im politischen Feld. Der SPD fehlt es nicht nur im Verhältnis zur Union an Selbstbewusstsein; auch die Linkspartei empfindet sie trotz ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte – bewusst oder unbewusst – als Bedrohung, weil sie diese Geschichte nicht mehr als Wegweisung versteht, sondern allenfalls als Folklore, und sich bei der Union in einem sichereren Hafen fühlt.
Seit dem Sozialabbau mit der Realisierung der AGENDA 2010 ist die SPD als Volkspartei praktisch erledigt. Sie kann (!) nur noch über eine Koalition als Juniorpartner mitregieren.
Wie im Beitrag richtig eingeschätzt wurde, entzieht sich die SPD-Führung dadurch auch zeitverzögernd dem Beitrittsverlangen des Realo-Flügels der LINKEN.
DIE LINKE benötigt dringend die SPD um zu überleben und wird deshalb weitere Zugeständnisse (wie zu Fragen der Außenpolitik) machen müssen!
Sollte dieser Schritt erfolgen, kann das zur Abspaltung der ehemaligen WASG-Mitglieder führen. Auch im Osten wären die „Linken“ in DER LINKEN von der Sozialdemokratisierung nicht begeistert!
Den Mut zu einer fundamentalen Opposition haben weder die Führungen der SPD noch DER LINKEN. Machtbeteiligung für die Machtbeteiligten ist eben sehr verlockend! Dann „verschwimmen“ sogar die Konturen der Parteien im politischen Alltag.
Hoffnung bringt die Tatsache: es wird einmal eine CDU/CSU ohne die Partei-Ikone Angela Merkel geben (müssen). Dann wird es auch ziemlich turbulent unter den „Schwarzen“ hergehen.
SPD und DIE LINKE müssen auf „diesen Tag“ vorbereitet sein.