(pri) Diese Chance darf man sich natürlich nicht entgehen lassen, mögen einige der tief gekränkten Edelfedern unserer heimischen Qualitätspresse gedacht haben und sprangen flugs aufs Trittbrett von »Charlie Hebdo«. »Was sie verbindet«, hieß es zum Beispiel über die Mörder im Pariser Marais-Viertel und die Pegida-Bewegung in der »Berliner Zeitung«, »ist ihr Hass auf die ‚Lügenpresse‘, dem die Demonstranten in Dresden Montag für Montag grölend Ausdruck verleihen – nichts anders trieb die Attentäter an, die versuchten, die Lügenpresse zum Schweigen zu bringen«. »Wir sind Charlie Hebdo« heißt da »Auch wir sind Opfer« – eines missgünstigen Publikums, das uns Voreingenommenheit, Einseitigkeit, Mainstream-Anpassung, Regierungsnähe vorwirft, uns mit dem – gewiss überzogenen – Kampfbegriff »Lügenpresse« ins Abseits stellt.
Welch selbstgerechte Anmaßung im Presserauschen dieses Landes vom Verleger bis zum Kommentator! Denn zwischen »Charlie Hebdo« und dem Großteil der hiesigen Medienbranche liegen Welten. Die Pariser Satiriker legen sich in ihrer Unabhängigkeit mit vielen an. Sie verspotten die katholische Kirche und wurden von ihr mit Prozessen überzogen. Sie geißeln kleinbürgerliches Gehabe und narzisstische Großmannssucht, teilen nach rechts wie links aus und sind bei jenen, die sich zum Establishment zählten, schlecht gelitten. Eine solche Haltung kann man bei Fernsehen, Funk und Zeitungen hierzulande zumeist nicht finden – und das nicht nur, weil für Satire, die es natürlich auch hier in aller Respektlosigkeit gibt, Grenzziehungen nicht gelten. Bei den so genannten seriösen Medien sieht das ganz anders aus. Bei ihnen gibt es ökonomische Rücksichtnahmen auf den Verleger – oder hat jemand in jüngster Vergangenheit ein Blatt gefunden, wo auch für die Zeitungsausträger der Mindestlohn von Anfang an gefordert wurde? Da gibt es die »Einbettung« in meinungsbildende politische Netzwerke, übrigens von einem Satiremagazin (!) des Fernsehens aufgedeckt, gegen das prompt die Justiz in Stellung gebracht wurde. Da gibt es interne Gesprächskreise in Parteizentralen und Ministerien, zu denen nur eingeladen wird, wer als pflegeleicht gilt.
Es geht dabei nicht um Nebensächlichkeiten, eine versteckte Beleidigung etwa oder die Preisgabe einer unangenehmen Geschichte, den Widerspruch zu einer ministeriellen These oder einen abfälligen Kommentar. Es geht immer um die Grundzüge der Politik, die nicht in Frage gestellt, sondern bekräftigt, beworben werden sollen. Es geht um die klare Unterscheidung von Freund und Feind aus regierungsamtlicher Sicht, ob im Inneren oder auf internationaler Ebene. Aktuelle Paradebeispiele sind die Debatte um künftige parlamentarische Mehrheiten mit ganz überwiegender Verketzerung jeder Linkstendenz oder der Umgang mit Russland als neuem Reich des Bösen.
Es ist kein Wunder, dass gerade im Osten des Landes, wo man diese Medienstrategie, allerdings in plumper, durch die politische Machtzentrale dogmatisch vorgegebener Weise, kennengelernt hat, gewisse Ähnlichkeiten beim heutigen Mediengeschäft mit besonderer Sensibilität wahrgenommen werden. Was für die DDR-Bürger das Westfernsehen war, um sich ein eigenes Bild von den Dingen zu machen, ist heute das Internet, das Informations- und Meinungsmonopole nicht mehr zulässt. Medien, die – offensichtlich oder versteckt – für bestimmte Interessen trommeln, verlieren schnell jede Glaubwürdigkeit, wenn sie sich selbst zum »Lebenselixier der Demokratie« hochstilisieren.
Und so entpuppt sich auch die Gleichsetzung der Attentäter von Paris mit den Demonstranten von Dresden als leicht durchschaubarer Trick, sind doch Affinitäten eher zwischen »Charlie Hebdo« und Pegida auszumachen. Jedenfalls haben beide eine dezidiert kritische Sicht auf den Islam – freilich mit dem wesentlichen, entscheidenden Unterschied, dass die französischen Satiriker damit nie die Forderung nach Ausgrenzung und Abschiebung von Migranten verbanden, die Pegida-Demonstranten aber schon. Mit ihnen allerdings auch etliche Politiker hierzulande – und nicht nur von der AfD. Und natürlich Journalisten, wie sowohl aus aktuellen Pressekommentaren als auch einer Studie über den medialen Umgang mit Islam und Islamismus unschwer abzulesen ist.
Fixiert auf die Abwehr jeder Kritik am eigenen Verhalten, haben sich hiesige Medien umgehend zu Opfern neben »Charlie Hebdo« erklärt und gleichzeitig Pegida in die Nähe der Täter von Paris gerückt. Sie haben dabei mit starken Worten wie »Leichenfledderei« nicht gespart. Manchmal aber bleibt ein Etikett, das man anderen anzuhängen versucht, an einem selbst kleben.
Der Begriff „Lügenpresse“ wurde in Deutschland zum „Unwort des Jahres 2014“ stilisiert. Das bisher auflagenschwache (ca. 40.000 Exemplare) französische Magazin „Charlie Hebdo“ zu einem „Massenblatt“ (3 Millionen Exemplare) hochsubventioniert.
Jeder nachdenkende Mensch fragt sich: was soll das ? Wem nützt das?
In einer Zeit wachsender ökonomischer und politischer Spannungen wird damit vorsätzlich „Öl ins Feuer gegossen“ oder „Feuer mit Benzin gelöscht.“
Angeblich der „Freiheit“ wegen – dem größten aller Unworte. Kein Begriff wurde bisher mehr mißbraucht und entwertet als dieser!
In Deutschland gibt es (noch) im Strafgesetzbuch den § 166, der Beleidigungen und Abwertungen von Weltanschauungen unter Strafandrohung bis zu drei Jahren (bei Wiederholung) stellt. „Charlie Hebdo“ wurde deshalb auch bei uns im Land nicht vertrieben. Soll sich ja nun auch ändern.
BILD.de bewertete am 19. September 2012 die Zeitschrift noch als „Skandalmagazin“ unter der Schlagzeile „Sind die wahnsinnig geworden?“ Welch wundersame Wandlung in das gegenwärtige „Wir sind alle Charlie!“
Der Eindruck auf den Bürger von der „Lügenpresse“ wird durch solche „scharfen Wendungen“ doch nur verstärkt.
Einen Begriff zum „Unwort“ für Deutschland zu erklären, passiert natürlich auch nicht zufällig. Diese „Unworte“ sollen dadurch dem täglichen Gebrauch durch „ihre abwertende Aussage“ entzogen werden. Es sind also Begriffe, die dem Mainstream richtig weh tun.
Mit der Inszenierung theatralischer Solidaritätsbekundungen für „Charlie Hebdo“ und dem Wutgeschrei über die Wiederfindung des uralten Kampfbegriffes von der sich den „Mächtigen“ unterwerfenden
„Lügenpresse“ (gab es bereits zu Zeiten Napoleon I.), beweisen unsere Volksvertreter erneut, daß sie das Volk nicht verstehen (können ?).
Unsere Demokratie steckt offenbar im Stau – zur Freude der immer offener
handelnden Demokratiefeinde !