(pri) Nicht um die Europäische Union als einer solidarischen Wertegemeinschaft, nicht um den Euro als einem Instrument angleichender Wirtschaftsentwicklung geht es derzeit im Ringen einer hartleibigen EU-Bürokratie mit dem zu Recht als Herausforderung begriffenen griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras; es geht um die Beendigung des von diesem und seiner Mannschaft ausgelösten Versuchs, die EU von einer vorrangig die Finanzwirtschaft und das Unternehmertum begünstigenden Institution zu einer Gemeinschaft zu machen, die das Wohlergehen jedes einzelnen Landes als Bedingung für das Wohlergehen der gesamten Union betrachtet.
Wurde bislang immer mal wieder so getan, als wolle man Griechenland doch nur helfen, so ist in der abgelaufenen Woche diese freundliche Schicht für Schicht abgelegt worden und hat der hässlichen Fratze von Hardlinern Platz gemacht, denen es überhaupt nicht mehr um die Sache, sondern nur noch um Personen geht. Die Mehrheit neoliberal verfasster EU-Regierungen mit dem bundesdeutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble an der Spitze will – und wollte von Anfang an, dass diese griechische Regierung scheitert, stellt sie doch eine tödliche Gefahr für das Projekt der Unterwerfung des Kontinents unter die Regeln des neoliberalen Wirtschafts- und Finanzsystems dar. Mit Hilfe konservativer und opportunistischer Politiker in den meisten Euroländern glaubte man sich schon fast am Ziel, hatte aber wieder einmal die Rechnung ohne die Völker gemacht.
Denn spätestens am vergangenen Mittwoch zerstob im EU-Parlament die Legende, ganz Europa stehe gegen Griechenland. Alexis Tsipras wurde dort ein begeisterter Empfang bereitet, den seine Gegner mit versteinerten Miene mitansehen mussten. Die wohlfeile Kritik, dass unter den Tsipras-Bejublern auch strikt europakritische und sogar rechtsextreme Politiker waren, verschweigt geflissentlich, dass diese nicht zuletzt deshalb ins EU-Parlament gewählt wurden, weil in zahlreichen Ländern die Menschen unter dem EU-Diktat leiden, weil sie ihren Protest dagegen ausdrücken wollen und in den etablierten Parteien ihrer Ländern keinen Ansprechpartner dafür fanden.
Was die EU-Bürokratie alarmiert, ist die ständig wachsende Popularität von Tsipras und seiner Mannschaft – entgegen allem Wunschdenken in Griechenland selbst durch das Referendum und dann das parteiübergreifende Parlamentsmandat dieser Woche eindrucksvoll nachgewiesen, aber auch in anderen Ländern, die sich in ähnlicher Lage sehen und voller Spannung nach Athen und Brüssel blicken. Wenn Griechenland aus dem Euro ausscheidet und es dann auf neuer Grundlage tatsächlich schaffen sollte, sich selbst – oder mit Hilfe wirklich solidarischer Partner – aus dem Sumpf zu ziehen, würde dies von einer derartigen Wirkung auf viele andere EU-Staaten, die ähnlich wie Griechenland unter den drakonischen Auflagen ihrer Kreditgeber stöhnen, dass daran vielleicht nicht über kurz, aber gewiss im längeren Zeitraum die auf dem Euro aufgebaute EU zerbräche.
Mit der Herablassung und Häme der ersten Wochen nach dem Regimewechsel in Griechenland ist es vorbei. Man hat begriffen, dass man die Tsipras-Regierung nicht länger als »Laienspieltruppe« lächerlich machen kann und dass die Auswechslung einzelner ihrer Protagonisten wenig bringt. Die derzeitige griechische Regierung nimmt in Fortsetzung der jahrhundertealten Tradition als der Wiege der Demokratie in Europa den Auftrag ernst, zum Wohle des Volkes zu wirken. Sie entzieht sich den Regeln des intransparenten, auf die Klasse der Reichen fixierten Politikgeschäfts und wirbt für eine neue Kultur sowohl des Verhandelns auf Augenhöhe als auch des ehrlichen Kompromisses, der beiden etwas abverlangt, aber auch gibt. Sie erweist sich in einem Maße als flexibel und kompromissfähig, zu der die EU-Mehrheit offensichtlich weder bereit noch in der Lage ist.
Denn der Euro war für seine Erfinder nie ein Mittel des Ausgleichs zwischen europäischen Staaten unterschiedlicher Wirtschaftskraft, der Annäherung der Wirtschafts- und Sozialsysteme zum gegenseitigen Nutzen. Vielmehr diente die gemeinsame Währung den wirtschaftlich starken Ländern dazu, die schwächeren Volkswirtschaften enger an sich zu binden, letztlich zum eigenen Vorteil auszubeuten. Zeitweilig wurde dieses Konzept dadurch verschleiert, dass man durch Kredite die Kaufkraft in den schwächeren Ländern anhob, was dem Export der starken Partner begünstigte – freilich mit der fatalen Folge, dass diese Kredite eines Tages fällig würden. In den letzten Jahren mussten zahlreiche EU-Staaten die Kosten für solch verfehlte Politik zahlen – zumeist unter dem Druck ihrer konservativen oder – wie zeitweilig auch in Griechenland und Italien – demokratisch nicht legitimierten Regierungen.
Griechenland ist das erste Land, das sich dagegen auflehnt; weshalb es das »Vertrauen« seiner Gläubiger wie der konservativen EU-Staaten verloren habe. Man wünscht sich offensichtlich eine neue, handzahme Regierung herbei, zwar ohne demokratisches Mandat, aber vielleicht mit der Entschlossenheit, die Wünsche der EU-Bürokraten auch gewaltsam durchzusetzen. Als eine Art Vorstufe dazu kann Schäubles Plan betrachtet werden, griechische Vermögenswerte in einer Höhe von 50 Milliarden Euro einer »Treuhandanstalt« zu überschreiben, damit daraus die Schulden bezahlt werden, wenn das Land die EU-Auflagen nicht den Vorstellungen der Gläubiger entsprechend erfüllt. Schon einmal wurde bekanntlich unter dem Label »Treuhand« eine Volkswirtschaft systematisch ausverkauft. Tsipras lehnte eine solche »Lösung« nach Gutsherrenart umgehend ab; nun soll er im Schnelldurchlauf Gesetze durchs Parlament peitschen, die im Grunde auf dasselbe hinauslaufen.
Wie auch immer das Ringen um Griechenlands Zukunft ausgeht, eins haben die Vorgänge der letzten Wochen und Monate deutlich gezeigt: Der Euro war von seinen Erfindern als Mittel zur Durchsetzung neoliberaler Politik gedacht – und vor allem daraus ergeben sich die gegenwärtigen Konflikte. Sie haben stetig zugenommen, je starrsinniger die EU auf dieser Position beharrte, und sie werden sich bei Fortsetzung solcher Politik weiter zuspitzen – bis hin zum Grexit, der das Ende des Euro in seiner heutigen Form einleiten könnte. Gegen diesen neoliberalen Missbrauch des Euro wehren sich die Griechen; sie wollen ihm eine andere Funktion geben – den einer Währung, die nicht zuerst Finanzinstitutionen nützt, sondern dem Aufbau, der Entwicklung eines harmonischen Europa.
Wer sich bislang noch Illusionen über die Rolle der Einheitswährung Euro gemacht hat, muß durch den Verlauf der Griechenland-Krise endlich ernüchtert worden sein. Mir als ehemaligen Bürger der DDR, mit glücklicherweise politökonomischer Vorbildung, war diese Entwicklung vorauszusehen und nun auch nachvollziehbar.
Der Euro ist – wie die Deutsche Mark zuvor – ein Erpressungs- und Destabilisierungsinstrument der deutschen Privatwirtschaft gegenüber ökonomisch schwächeren Staaten. Wer sich heute für den Euro ausspricht, legt sich freiwillig eine Schlinge um den Hals.
Die Einführung der Deutschen Mark in der DDR am 01.Juli 1990 hatte den gleichen Strangulierungs-Effekt! Der daraufhin beginnende Beutezug im Osten brachte den deutschen Konzernen märchenhafte Gewinne, die selbst in einem (siegreichen) heißen Krieg nicht erreicht werden konnten.
Wer es nicht glauben will, sollte sich wenigstens die moderate dreiteilige MDR-Dokumentation „Wem gehört der Osten?“ anschauen.
Griechenland droht nun eine ähnliche Zukunft der „blühenden Landschaften“: der Ausverkauf des Staates und damit die Enteignung der meisten Staatsbürger! Auch hier wird die Beute für die Gewinner riesig sein: gewaltige Bodenschätze an Öl und Gas, die der „Erweckung“ bedürfen.
Selbst vor dem (inzwischen mafiösen) Begriff „Treuhand“ wird nicht zurückgeschreckt. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen – Herrn Schäuble sei Dank für diese Aufklärung.
Der politische Zauber von „Freude, schöner Götterfunken!“ ist nun wenigstens ausgeträumt. Das Hauen und Stechen hat begonnen, wie im guten alten Europa der Vergangenheit!