(pri) Ein Gespenst geht um in der Welt, das Gespenst des Populismus. Eigentlich nichts Schlechtes, hat doch schon der gerade wieder sehr angesagte Martin Luther verlangt, dem Volke aufs Maul zu schauen, dem »populus« also, wie es im Lateinischen heißt. Wenn dann aber ein skrupelloser Demagoge wie zum Beispiel Donald Trump die Welt aus seiner kruden Sicht beschreibt und diese so simple wie aufputschende Erzählung massenhaft unter die Leute bringt, kann es gefährlich werden.
Und nicht wenige schieben das darauf, dass dem Volke zu viel und zu sehr aufs Maul geschaut wurde, was dann Populismus genannt und diffamiert wird. Tatsächlich jedoch hat das Vertrautsein mit der Meinung der Menschen, das Hinhören und Hinsehen auf ihre Lebenslage nichts gemein mit der platten Demagogie eines Donald Trump wie auch seiner europäischen Vor- und Nachbeter, die sich jetzt bestätigt fühlen und hoffen, es ihm gleichtun zu können – in Zielstellung wie Methode.
Solch verderbliche Saat, wie sie Trump ausbrachte, geht freilich nur auf, wenn sie auf einen vorbereiteten Boden fällt – und das war jetzt in den USA offensichtlich der Fall. Der US-amerikanische Filmemacher Michael Moore hatte schon vor Wochen den Wahlsieg Trumps vorausgesagt und dafür vor allem fünf Gründe genannt – als ersten den wirtschaftlichen Niedergang in einst prosperierenden Industrieregionen der USA, in denen die Globalisierung den »amerikanischen Traum« zerstörte und damit Trump einen »Molotow-Cocktail« in die Hand gab, mit dem er das Washingtoner Establishment vernichtend treffen konnte. Inzwischen setzt sich immer mehr die Auffassung durch, dass in dieser Entwicklung, die die sozialen Gegensätze nicht nur in den USA, sondern weltweit dramatisch verschärfte, die Hauptursache für die Abkehr der Menschen von der etablierten Politik und hin zu Demagogen mit einfachen, rückwärtsgewandten Lösungsversprechen liegt. Trump ist nur die Spitze eines Eisbergs, der auch weit bis nach Europa hineinreicht und in den Maße immer weiter wächst, wie die soziale Kälte zunimmt.
Dabei scheint es absurd, dass ausgerechnet ein Milliardär wie Donald Trump die Unzufriedenen, die Abgehängten, um ihre Existenz Bangenden um sich versammeln kann. Mit ihm wird gewissermaßen der Bock zum Gärtner gemacht, denn er ist alles andere als ein Mann des Volkes. Wie auch seine Adepten in Europa oder sonstwo in der Welt stammt er aus genau jener Kaste, die von der neoliberalen Entwicklung der letzten Jahrzehnte profitiert hat. Er hat die Ursachen des Frusts ebenso zu verantworten wie die Eliten, die er anklagt. Insofern spiegelt sich in seinem Erfolg auch das Versagen der linken, der fortschrittlichen Kräfte in der Welt, die es nicht verstanden, die Unzufriedenheit der Massen aufzugreifen und eine progressive Alternative zu entwickeln.
Andererseits hat das Vorgehen des Milliardärs, dessen Stein gewordene Insignien an zahlreichen Orten der Welt in den Himmel ragen, eine gewisse Logik, spricht es doch vom feinen Gespür des Geldmannes für die Risiken, die von der grassierenden Unzufriedenheit der Bevölkerungsmehrheit für ihn und die Seinen ausgehen. Instinktiv witterte er die Gefahr, die aus der wachsenden Spaltung der US-amerikanischen Gesellschaft erwächst, und steuerte auf seine Weise entgegen. Nicht durch Beschwichtigung und ein alternativloses »Weiter so« wie seine Konkurrentin Hillary Clinton, sondern durch den Frontalangriff auf jenes administrative Establishment, das die globale Expansion mit ihren verheerenden Folgen für die Wirtschaft verwaltete. Im Grunde haben sich die Globalplayer der USA des aus ihrer Sicht unfähigen Regierungsmanagements entledigt und in der Person Trumps selbst das Steuer übernommen. Die Banken und großen Konzerne der Öl- und Rüstungsindustrie hielten sich daher auch nicht lange mit Wundenlecken auf, sondern sorgten dafür, dass sie schon einen Tag nach der Wahl ein wahres Börsenfeuerwerk zu ihren Gunsten erleben konnten.
Es war also möglicherweise ein Stück weit Prophylaxe angesichts einer bedrohlichen Entwicklung, die Trump motivierte, die Präsidentschaft anzustreben – und er wird sich durch seinen Erfolg bestätigt fühlen, auch hinsichtlich der Dringlichkeit eines Umsteuerns der Politik weg von ihren pseudoliberalen Versprechungen und hin zu autoritärer, im Zweifel repressiver Praxis. Ehe der Massenprotest in echte Alternativen münden konnte, wurde er von rechtskonservativen Kreisen instrumentalisiert, wozu auch gehörte, alle linken Denkansätze von vornherein auszuschließen. Daran beteiligten sich in den USA sogar Trumps Konkurrenten von der Demokratischen Partei, indem sie die wirkliche Alternative zum Republikaner, nämlich Bernie Sanders, massiv behinderten und dabei auch Intrigen nicht scheuten. Auch in Europa diktiert die Abwehr linken Einflusses die Politik der EU-Eliten, die im Zweifel undemokratische, aber rechtsorientierte Personen wie Orban und Kaczynski ungeschoren und sogar einen Erdogan gewähren lassen, während linke Bewegungen, wie sie sich in Griechenland, Spanien oder Portugal herausgebildet haben, auf ihren erbitterten Widerstand stoßen.
Auch im System Trump hat die Repression gegenüber Andersdenkenden ihren festen Platz. Das bewies er bei zahlreichen Wahlkampfauftritten durch verbales und seitens seiner Hilfstruppen auch gewaltsames Vorgehen gegen Kritiker ebenso wie in der ersten Reaktion auf die Demonstrationen in zahlreichen amerikanischen Städten gegen seine Wahl. Man kann sicher sein, dass ein Donald Trump alle ihm zur Verfügung stehenden Machtmittel einsetzen wird, wenn sich dereinst möglicherweise der Massenprotest gegen ihn richten sollte, weil er seine zahlreichen Versprechungen nicht erfüllen kann oder will. Und man kann ebenso sicher sein, dass dann Politik, Wirtschaft und Medien fest an seiner Seite stehen werden, weil er letztlich ihre Interessen vertritt – unabhängig davon wie das geschieht.
Die derzeitige Entwicklung in den USA weist beunruhigende Parallelen zur Situation der 20er und 30er Jahre in Europa auf. Die damalige Weltwirtschaftskrise stürzte Millionen von Menschen in Existenznöte und Armut und gab daher linken, radikalen Kräften Auftrieb. Auch damals entstand sofort eine Gegenbewegung, der Faschismus, erst in Italien, wo mit Mussolini ein Mann an die Macht kam, der in vielem dem heutigen Trump ähnelte, dann in Deutschland, in dem die politischen und wirtschaftlichen Eliten zur Abwehr erstarkender linker Kräfte Adolf Hitler auf den Schild hoben.
Die USA waren ebenfalls nicht gefeit gegen den faschistischen Virus, weil auch dort die Weltwirtschaftskrise zu starken Verwerfungen geführt hatte. Der 1932 gewählte damalige Präsident Franklin D. Roosevelt antwortete darauf mit dem »New Deal«, der auch Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenslage der unteren Schichten enthielt, wogegen sich alsbald eine unheilige Allianz reaktionärer Kräfte formierte, die auch vor der Anwendung der Schusswaffe und Haftstrafen gegen streikende Arbeiter nicht zurückschreckte. Sinclair Lewis, Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1930, hat diese Zeit in seinem Roman »Das ist bei uns nicht möglich« (»It Can’t Happen Here«) fiktional verarbeitet, indem er Roosevelt die Präsidentschaftskandidatur gegen einen Rivalen, einen »ungestümen, aber humorvollen Redner mit sicherem Instinkt für das, was der einfache Mann aus dem Volke zu hören liebte«, verlieren ließ, der dann tatsächlich Präsident wurde und seine Amtszeit mit einem Dekret begann, nach dem »Legislative und Exekutive in der Hand des Präsidenten vereint« wurden und der Oberste Gerichtshof nichts als verfassungswidrig erklären durfte, was der Präsident anordnete.
In den 30er Jahren konnte in den USA der Angriff der extremen Rechten auf ein demokratisches Gemeinwesen abgewendet werden. Damals war Faschismus dort tatsächlich nicht möglich. Aber eine Versicherung für alle Zeiten ist das nicht.