(pri) Neun Staaten sind es bislang, die über Nuklearwaffen verfügen. Sie alle sahen und sehen darin eine Art Versicherung ihrer Unverwundbarkeit, muss doch jeder Aggressor befürchten, einem tödlichen Gegenschlag ausgesetzt zu werden. Gleichzeitig betrachteten und betrachten sie die Bombe als einen Machtfaktor, der ihnen eine besondere Rolle in der Weltpolitik zuweist. Beides erwies sich in der nun 72-jährigen Geschichte der Atombombe faktisch als Schimäre; weder sorgte sie für die Besitzer für mehr Sicherheit noch stärkte sie deren Verantwortungsgefühl für den Weltfrieden – ganz im Gegenteil.
Das begann schon mit der Premiere der Nuklearbombe im Jahre 1945, als sie die USA als bisher einzige Macht auf zwei Städte des militärischen Gegners abwarfen – Hiroshima und Nagasaki. Weit mehr als 100 000 Menschen starben sofort und weitere Tausende in den Jahren seither, vor allem an den Folgen der radioaktiven Strahlung. Dieser Atombombenabwurf gilt als das größte Kriegsverbrechen der Militärgeschichte, und die USA waren drauf und dran, es in der Sowjetunion zu wiederholen; die Einsatzpläne lagen bereits in den Schubladen. Doch seit 1949 verfügte auch die damalige UdSSR über die Atomwaffe; ihr Nachfolgestaat Russland ist heute – wie die US-Amerikaner – mit seinem Arsenal in der Lage, die Menschheit mehrfach auszulöschen.
Großbritannien (1952) und Frankreich (1960) wollten als Siegermächte des 2. Weltkrieges nicht nachstehen und gelangten unter großen Anstrengungen ebenfalls in den Atomklub; China als fünftes ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates folgte vier Jahre später. Ihre Hoffnung, das Monopol über die Nuklearwaffe zu behalten, erwies sich jedoch bald als trügerisch. Denn nun fanden auch kleinere Mächte Geschmack an diesem vermeintlichen Machtmittel, zuerst Israel, das sich inmitten der arabischen Welt in ständiger Bedrohung sah und dieser durch die Atombombe zu entgehen trachtete. Doch das Gegenteil geschah, indem sich nun der Iran, Anspruch auf die nahöstliche Führungsrolle erhebend, seinerseits bedroht sah und nach der Bombe strebte, damit einen Konflikt auslösend, der die ohnehin explosive Gemengelage im Nahen Osten zusätzlich anfeuerte. Zwar gibt es inzwischen ein Abkommen, in dem der Iran auf die militärische Nutzung der Atomkraft verzichtet, aber Israel hält seine Bombe scharf und trägt eine hohe Verantwortung für die labile Situation, die am Rande Europas schnell auch atomar eskalieren kann.
Dem israelischen Beispiel folgten in der 70er-Jahren Indien und Pakistan, beide aufgrund der britischen Teile-und-herrsche-Politik gegenüber seinen Kolonien Todfeinde seit der Ausgliederung Pakistans 1947 aus dem einstigen Britisch-Indien. Nachdem Indien 1974 die Bombe testete, legte auch der westliche Nachbar ein Atomwaffenprogramm auf, und nur mühsam gelingt es, das labile Verhältnis zwischen beiden immer wieder zu stabilisieren; mehr Sicherheit für das eigene Territorium hat weder der eine noch der andere gewinnen können.
Eine weitere Todfeindschaft, jene zwischen den beiden Koreas, war Geburtshelfer der neunten Atommacht – Nordkorea. Einer der Paten dabei schon bei den Ursprüngen die USA, die – wie die Sowjetunion auf der anderen Seite – den strategischen Vorposten nicht verlieren wollten. Seit dem wegen selbstverordneter Abstinenz der Sowjetunion im Sicherheitsrat von der UN beschlossenen, aber fast nur von den USA geführten Koreakrieg der Jahre 1950 – 1953 misstraut Nordkorea den USA zutiefst und sieht allein in der Atombombe eine Garantie für seine Existenz. Diese Paranoia stößt gegenwärtig auf den US-amerikanischen Weltherrschaftsanspruch, den der derzeitige Präsident besonders ungehobelt vertritt. Und wieder hat keiner der beiden Kontrahenten einen Vorteil durch den Besitz der Bombe. Die USA sehen sich von einem Staat, der aus ihrer Sicht in der untersten Liga spielt, demütigend herausgefordert, wo Nordkorea in Wirklichkeit nicht mehr als selbstzerstörerischen Größenwahn zu bieten hat. Keiner von beiden kann seine Drohungen wahrmachen, ohne sich selbst zu schaden – und darüber hinaus die Welt in eine Katastrophe zu stürzen.
Wer über Nuklearwaffen verfügt, ist gefährlich für die Menschheit, denn er könnte es irgendwann für geboten halten sie einzusetzen. Und selbst wenn er auf dieses letzte Mittel verzichtet, schließt das nicht aus, andere Staaten aus dieser vermeintlichen Stärkeposition heraus unangemessen zu provozieren. Die Ukraine, nach dem Zerfall der Sowjetunion plötzlich neben Russland, Weißrussland und Kasachstan Atommacht, verzichtete wie sie auf diesen Status und ließ 2001 den letzten Atomsprengkopf vernichten – im nachhinein ein weise Entscheidung, auch wenn das heute die Regierenden in Kiew anders sehen dürften. Wie aber wäre eine Atommacht Ukraine nach dem Maidan-Umsturz mit der Abtrennung der Krim von ihrem Staatsgebiet umgegangen, wie mit den militärischen Separationsaktivitäten um Donezk und Lugansk? Vermutlich wäre es nicht zum Einsatz der Bombe gekommen, aber allein die Drohung mit ihr hätte möglicherweise zu einer ganz anderen Entwicklung zu Ungunsten Russlands geführt, die diese Großmacht wiederum zum Handeln auf anderen Gebieten und mit anderen Risiken veranlasst haben könnte. Zwar ist dies Spekulation, aber mit Nuklearwaffen bei verschiedenen Akteuren in diesem neuen Konfliktgebiet wären die Gefahren für den Weltfrieden ungleich größer gewesen.
Eindeutig zeigt diese Entwicklung, dass die Atombombe von Anfang an ein Fluch für die Menschheit war und ist. Sie ist zwar – wie chemische und biologische Waffen – nicht mehr aus der Welt zu schaffen, aber sie kann wie diese geächtet werden. Kaum ein Staat kann es sich derzeit leisten, chemische oder biologische Kampfstoffe einzusetzen; er würde nicht nur eklatant gegen das Völkerrecht verstoßen, sondern auch moralisch jeden Kredit verlieren. Mit der Atombombe jedoch kann – wie sich gerade gegenwärtig in erschreckendem Maße zeigt – immer noch herumgefuchtelt werden, obwohl ihre Wirkung in gleicher Weise verheerend ist.
Noch fehlt bei den Nuklearwaffen-Besitzern und wohl auch bei manchem anderen Staat, der mit der Bombe liebäugelt, der politische Wille zu konsequenter Ächtung. Für diesen gilt es beharrlich zu werben, denn die Bombe nützt niemanden, kann aber allen schaden.