Angela Merkel hat bereits fünf Monate in der Parteispitze überstanden
Am 25. April beginnt in Erfurt der diesjährige Bundesparteitag der CDU. Mit Angela Merkel ist erstmals eine Generalsekretärin aus dem Osten wesentlich für die Vorbereitung verantwortlich.
(»Neues Deutschland« vom 21. April 1999)Als Angela Merkel am letzten Silvestertag heiratete, konnte sie es kaum fassen, daß ein Bräutigam, der vor oder nach ihr an der Reihe war, seine Videokamera weniger auf die eigene Braut als auf sie richtete – und das Ergebnis sodann dem Fernsehen zur Vermarktung anbot. »Mitten im Leben« – so sagt der aktuelle Parteislogan – will die CDU stehen, und vielleicht zeigt das ungläubige Staunen ihrer Generalsekretärin über soviel Profitkalkül besser als manches andere, wie weit der Weg dahin noch ist. Denn wie fast alle in der christdemokratischen Führung hatte sie sich willig vom Übervater Helmut Kohl in eine künstliche Welt führen lassen, einen sterilen Raum, in dem das von ihrem Vorgänger Peter Hintze konfliktfrei ausgestaltete Idealbild durch krude Realität nicht verzerrt werden sollte.
Sogar in der täglichen Presseübersicht wurde fast alles Negative und Kritische ausgespart, damit der CDU-Vorsitzende nichts Unerfreuliches über sich und die Partei lesen mußte; auch Erich Honeckers Apparat hatte in seiner Endphase dem Chef solch nackte Wahrheiten nicht mehr zumuten mögen. Da war es kein Wunder, daß auch Angela Merkel bis zum Wahltag mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen rechnete: »Auf eine klare Niederlage war ich nicht vorbereitet.«
Für die DDR im Blick auf spätere Einheit gerackert?
Nun, nach dem Unerwarteten, ist sie auserkoren, zusammen mit dem neuen Vorsitzenden Wolfgang Schäuble, vier Stellvertretern, von denen zwei, Volker Ruhe und Norbert Blüm, ebenso wie Schatzmeister Matthias Wissmann und sie selbst zu Kohls einstiger Ministerriege gehörten, die in 16 Jahren zum Kanzlerwahlverein verengte CDU zu erneuern. Schon das Personal zeigt, daß dabei nicht mehr als ein Schonwaschgang herauskommen kann, will man sich selbst nicht über Gebühr naß machen. Entsprechend betonte die neue Generalsekretärin in ihren ersten Stellungnahmen, sie wolle »Zuversicht, Fröhlichkeit und auch Spaß« vermitteln, eher zusammenführen als spalten, Brücken schlagen. Daß sie Hintzes Rote-Socken-Plakat abhängte und seine schwarze Ledersitzgruppe aus dem Büro entfernte, ließ sie als beinahe revolutionären Umbruch feiern.
Weder für Helmut Kohl – er leitete 1991 mit der Berufung des »Mädchens« zur Ministerin für Frauen und Jugend die bundesdeutsche Karriere Angela Merkels ein – noch jetzt für Wolfgang Schäuble waren nur ihre »Quoten«-Eigenschaften ausschlaggebend. Natürlich empfanden es beide als hilfreich, für wichtige Ämter eine Frau aus dem Osten, zudem für das Politikgesehäft noch relativ jung, präsentieren zu können, doch wichtiger waren die eher verborgenen Eigenschaften der promovierten Physikerin.
1954 in Hamburg geboren, wuchs sie im brandenburgischen Templin auf, da ihr Vater eine Stelle als evangelischer Pfarrer in Quitzow annahm. Sie machte das Abitur und studierte in Leipzig Physik. Seit 1978 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Physikalische Chemie der Akademie der Wissenschaften in Berlin, wurde dort 1986 auch Frau Doktor.
Weder sie noch ihre Familie fielen durch besondere Distanz zur DDR auf. Von organisierter Opposition hielt sich Angela Merkel fern. Pflichtbewußt tat sie ihre Arbeit, »rackerte« sogar für die DDR, wie sie später einräumte, nicht ohne eine hellsichtige Begründung anzufügen: »Wenn wir nicht rackern, verdummen wir, und wenn eines Tages doch die Einheit kommt, dann können wir nicht mithalten.« Erst 1989 stieß sie zum Demokratischen Aufbruch, kümmerte sich um dessen Öffentlichkeitsarbeit und wurde nach der Bildung der Regierung de Maiziere stellvertretende Regierungssprecherin. Im August 1990 trat sie der CDU bei und orientierte sich nun immer mehr auf Günter Krause, der ihr als CDU-Vorsitzender in Mecklenburg-Vorpommern dort einen sicheren Wahlkreis verschaffte. Sie kam in den Bundestag und ins erste gesamtdeutsche Kabinett.
Helmut Kohl hatte mit sicherem Instinkt erkannt, daß Angela Merkel Autoritäten loyal zu dienen verstand, ohne zugleich durch übertriebene Autoritätsgläubigkeit selbständiger Arbeit entwöhnt zu sein. Und er schätzte ihre Fähigkeit zum Ausgleich, zur Moderation gegensätzlicher Ansichten und zum Kompromiß auf kleinstem Nenner. Er machte sie erst an de Maizieres Stelle zu seiner ersten Stellvertreterin im Parteivorsitz, schickte sie dann in Krauses Nachfolge an die Spitze des mecklenburg-vorpommerschen Landesverbandes und ernannte sie schließlich 1994 zur Umweltministerin. In dieser Funktion entwickelte sie sich schnell zur Interessenvertreterin der Industrie, der sie zumeist nur freiwillige Selbstverpflichtungen abverlangte statt ökologische Notwendigkeiten durchzusetzen.
Auch für Wolfgang Schäuble, der kaum etwas anders, dies allerdings besser als Helmut Kohl machen möchte, ist Angela Merkel die ideale Exekutorin des eigenen Willens. Er will jegliche Unruhe, schon gar radikale Umbrüche in der CDU verhindern, die ohnehin kaum noch bewegungsfähigen Parteiflügel auch weiterhin ruhig halten und die nach der Wahlniederlage unvermeidliche inhaltliche Debatte unter Kontrolle bringen. Eine Generalsekretärin, die in der Partei nach eigenem Bekunden eine Familie sieht, der sie vor allem Zusammengehörigkeitsgefühl vermitteln will, ist da ganz nach seinem Geschmack.
Und sie soll ihre Rolle als Vertreterin des Ostens spielen, den die Partei nach den herben Einbrüchen der letzten Jahre unbedingt zurückgewinnen muß, will sie wieder in die Nähe der Macht gelangen. Dazu löste sich Angela Merkel auch von der arroganten Anti-PDS-Polemik Hintzes, ohne jedoch ein wirksameres Rezept gegen die ostdeutsche Konkurrenz zu finden. Sie versprach »eine Orientierung an Sachargumenten in einer harten politischen Auseinandersetzung mit der PDS« und bellt doch reflexartig los, wenn sie meint, es sei angesagt. Zwar klingen ihre Verbalinjurien immer ein wenig nach lästiger Pflichtübung, nach »Rackern« zur hundertprozentigen Erfüllung der Erwartungen einer weiterhin westgeprägten und mithin das Phänomen PDS nicht begreifenden Partei, aber ein neues Konzept zum Umgang mit der PDS verraten sie nicht.
Weder Auftrag noch Neigung, Wind zu machen
Da könnte sich die Prophezeiung des Vorgängers vorfristig bewahrheiten. »Nach einem Jahr Merkel werden sie merken, wie gut ich war«, wurde Hintze nach seinem Abgang zitiert. Und tatsächlich erweist sich die Generalsekretärin eher als »Minimalsekretärin«, als jemand, der sich vor allem Sorgen darum macht, daß nichts aus dem Ruder läuft und dabei mißtrauisch darauf achtet, nicht selbst ins Abseits zu geraten. Wie von Schäuble gewünscht, verzichtet die CDU auf eine schonungslose Aufarbeitung der Gründe für den Machtverlust und ersetzt konzeptionelle Diskussionen durch aufgeregte Kampagnen wie die Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oder eine Postkartenaktion gegen Änderungen am 630-Mark-Gesetz, die Angela Merkel mit kindlichem Stolz unters Parteivolk trägt. Erwartungen, sie würde neue Akzente setzen, notwendige Debatten provozieren und nachdrängende Kräfte fördern, erfüllten sich bisher nicht. Vor dem Erfurter Parteitag erinnert die CDU allzusehr an »Wandrers Nachtlied«, das Goethe im nahen Ilmenau in den Sinn kam: Über allen Wipfeln ist Ruh…
Kein Wunder bei einer Generalsekretärin, die weder den Auftrag noch selbst die Neigung hat, Wind zu machen.
Aus der „Minimalsekretärin“ der CDU ist bekanntermaßen inzwischen die „Minimalkanzlerin“ der Bundesrepublik Deutschland geworden. An Merkels Neigung, wenig Wind zu machen, hat sich nicht viel geändert, genauso aber auch an ihrer Eigenart, wenig Politik zu gestalten. Auch „rackert“ sich Angela Merkel als Vertreterin aus dem Osten bis heute erfolglos damit ab, in Ostdeutschland für die CDU verlorengegangenes politisches Terrain zurückzugewinnen und so die dortige Volkspartei PDS bzw. Linkspartei entscheidend zu schwächen. Vielleicht hat Peter Hintze ja doch irgendwie recht gehabt mit seiner Aussage „Nach einem Jahr Merkel werden sie merken, wie gut ich war.“