(pri) Jetzt, ganz am Ende ihrer Amtszeit, könnte Angela Merkel das gleiche Schicksal ereilen, wie alle ihre Vorgänger von der CDU – ein unrühmlicher Abgang. Denn mit Händen zu greifen ist der Unmut in ihrer Partei und großen Teilen der Unionswählerschaft über das Missmanagement der Kanzlerin in der Corona-Krise. Konnte sie bisher Kritik immer noch mit dem Verweis auf Wahlerfolge ins Leere laufen lassen, so ist dies nach dem desaströsen Ausgang der Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sowie dem Absturz in den Umfragen vorbei. Jetzt muss die Union um die Macht bangen – seit jeher Anlass für die große Abrechnung.
Der Thüringer CDU-Bundestagsabgeordnete Albert Weiler mag ein unbekannter Hinterbänkler sei, aber was er jüngst in einem Brandbrief an Angela Merkel formulierte, dürfte von vielen auch in CDU und CSU geteilt werden: »Wenn Ihnen nach einem Jahr Corona nichts anderes einfällt, als stumpf den Lockdown zu verlängern …, dann ist das für die Menschen in diesem Land . .. Politikversagen.« Und er zeigt die Konsequenzen für seine Partei und das Regieren im Land auf, die so oder so längst auch andere artikulieren: »Die Umfragen zeigen uns, dass wir mit Volldampf auf eine Zukunft ohne klare Mehrheitsverhältnisse zusteuern. Drei- oder Vierparteienkoalitionen werden nötig sein, um Mehrheiten in den Parlamenten zu haben. Statt Fortschritt droht folglich Stagnation und Zank.« Vor allem aber droht Machtverlust, und das war für die Union stets das äußerste Alarmzeichen – und Anlass, mit allen Mitteln gegenzusteuern.
Diese Rolle hat mit seiner heutigen Rede zum geplanten Wahlprogramm Armin Laschet übernommen, der Angela Merkel scharf angriff und sich deutlich von ihr absetzte: »Wir alle hätten uns schnelleres Impfen und mehr Impfstoff gewünscht, mehr Möglichkeiten durch mehr Tests, eine bessere digitale Kontaktnachverfolgung.« Er schlussfolgerte: »Ein Weiter-so darf es nicht geben. Die Fehler, die erkennbar sind, müssen jetzt angepackt werden.« Und versprach: »Wir werden das ändern. Wir werden das besser machen. Dafür stehe ich persönlich ein.« Damit brachte er sich unmissverständlich als Kanzlerkandidat mit einem Alternativkonzept ins Spiel und betonte zugleich seine Distanz zum bayerischen Rivalen Markus Söder, der sich bislang als entschiedenster Unterstützer Merkels inszenierte.
Laschet stünde wohl auch bereit, sofort die Kanzlerschaft zu übernehmen, doch dieses bevorzugte Mittel, das Personal zu wechseln und mit einem neuen Gesicht um neues Vertrauen zu werben, steht der Union nicht zur Verfügung. Zwar lässt das Grundgesetz die Wahl eines neuen Kanzlers jederzeit zu, aber er braucht dafür im Parlament eine Mehrheit, die die Union allein nicht hat. Und beim derzeitigen Regierungspartner SPD besteht natürlich keinerlei Interesse, CDU und CSU aus ihrem Dilemma zu helfen. Die Sozialdemokraten sind im Gegenteil daran interessiert, den desolaten Zustand der Union recht lange aufrechtzuerhalten; umso mehr können sie ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz als die besonnene, ordnende Kraft in der Regierung präsentieren.
Auch die Grünen, die in den Umfragen derzeit noch vor der SPD liegen, werden der Union kaum aus der Patsche helfen, zumal dabei auch noch eine weitere Partei mitspielen müsste. Auch sie hoffen von der Krise der C-Parteien zu profitieren, haben aber gegenüber der SPD möglicherweise einen nicht unbedeutenden Nachteil. Ihre Kandidaten für die Kanzlerschaft sind regierungsunerfahren und entsprechen auch sonst wenig dem Bild, das sich die doch eher konservative Wählerschaft der Union von einem Bundeskanzler macht. Es ist also ungewiss, wem enttäuschte CDU-Wähler ihre Stimme geben. Der bislang kaum durch linke Ideen aufgefallene Scholz, der einst sogar das Wort »Sozialismus« aus dem SPD-Programm streichen wollte, könnte von diesem Image profitieren und so ganz unerwartet doch noch eine Chance bei der Bundestagswahl bekommen.
So ergibt sich eine ziemlich überraschende Gemengelage: Die SPD möchte, dass Angela Merkel bis zur Bundestagswahl weiterregiert – sie möchte es offensichtlich mehr als viele in der Union. Die Union hingegen distanziert sich – zumindest in weiten Teilen – von der eigenen Kanzlerin. Diese aber gibt der SPD allein durch ihr Beharrungsvermögen die Chance, beim Wähler verlorenen Boden aufzuholen, auch weil plötzlich doch ein Wechselhoffnung besteht. Was das am Ende für das Wahlergebnis bedeutet und für die daraus ableitbaren Koalitionsoptionen, bei denen die links von ihrem Kandidaten stehenden derzeitigen SPD-Vorsitzenden gewiss ein Wörtchen mitreden wollen, ist eine der spannenden Fragen der nächsten Monate.