Opposition ist Mist, hat der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering einmal verkündet; jetzt aber scheint ihm auch das Regieren zu stinken, zumal die SPD in der großen Koalition zur reinen Erfüllungsgehilfin der Union verkommen ist, weil sie CDU und CSU nur noch dazu dient, jene – auch verfassungsändernden Mehrheiten – zu besorgen, die diese in anderen Konstellationen kaum bekommen hätten. Letzter schlagender Beweis dafür: das BKA-Gesetz, das sich vermutlich als verfassungswidrig erweisen wird, zu dessen Verabschiedung die SPD aber nach kurzer Schamfrist willig die Hand reichte.
Der Partei hat das in der Wählerschaft keinen Bonus gebracht; im Gegenteil. Die Umfragewerte zeigen stabil nach unten. Der Kanzlerkandidat weiß nicht so recht, ob er nicht gleich wieder nur als Vizekanzlerkandidat antreten soll, der sich von Angela Merkel die Linie vorgeben lässt – so wie früher von Gerhard Schröder. Und in der SPD haben sic h allzu viele schon in ihren Regierungsämtern häuslich eingerichtet, als dass sie nun die Hausherren durch allzu forsche Wahlkampfsprüche verärgern wollen.
Einem Parteichef kann das nicht genügen, auch wenn es ihm nicht wirklich gegen den strich geht. Er muss zumindest den Eindruck erwecken, er hätte auch noch andere Optionen – schon um die Erosion auf der linken Seite der Partei aufzuhalten, die entweder die Linkspartei beständig stärkt oder aber seine Autorität untergräbt, indem man – zum Beispiel demnächst im Saarland – einfach tut, was sinnvoll ist, ohne sich Berliner Befehlen zu beugen. Also räumt Müntefering zähneknirschend eine alte, längst überholte Position, freilich nur halbherzig, weil es ihm eben nicht Herzenssache ist.
So bleibt es beim inkonsequenten Halbschritt – angeblich weil Müntefering »wirklich keine Lust mehr drauf« hat, sich mit Oskar Lafontaine an einen Tisch zu setzen. Es zeugt von der totalen Argumentationsschwäche des SPD-Chefs, wenn er seine persönliche Befindlichkeit zum Maßstab von Koalitionsabsprachen macht. Und es verrät, dass es ihm eben auch jetzt nicht um die Sache, nämlich originär sozialdemokratische Politik, geht, sondern um ein taktisches Manöver, das seine Partei in eine bessere Lage gegenüber der Union bringen soll, ohne tatsächlich mit der vom bürgerlichen Partner vorgegebenen Politik zu brechen. Wer in der SPD mehr Lust verspürt, sich mit Guido Westerwelle an einen Tisch zu setzen als mit Oskar Lafontaine, demonstriert allein schon dadurch seine Abkehr von Grundprinzipien der Sozialdemokratie.
In Münteferings Verständnis soll der Rechtskurs der SPD unbedingt erhalten bleiben, auch wenn der Vorsitzende den Tatsachen wenigstens taktisch irgendwie Rechnung tragen muss. Die harsche Ablehnung der Idee Thorsten Schäfer-Gümbels, Spitzenkandidat der hessischen SPD, die Reichen des Landes mit einer Zwangsanleihe zur Kasse zu bitten, auch seitens der Bundes-Partei zeigt das deutlich. Hier sitzt man lieben mit Union und FDP in einem Boot. Es zeigt aber zugleich: Der SPD-Linken böte dieser Schlingerkurs durchaus die Chance, der Rechtslastigkeit der Führung etwas Zukunftsweisenderes entgegenzusetzen – wenn sie denn die Traute dazu hat.
Ob es sich denn gelohnt hat, wegen „Münteferings Halbschritt“ die angekündigte weihnachtliche Ruhepause in diesem Blog zu unterbrechen, mag man sich vielleicht fragen. Aber wenn es sich auch ansonsten lohnen muß, auf die alltäglichen Irrungen und Wirrungen der herrschenden Politik einzugehen, dann wohl auch in diesem Fall. Und ist die „Reform“-SPD nicht ein interessanter bunter Haufen von politischen Geisterfahrern, demokratischen Amokläufern und atemberaubenden Politträumern?
Daß ein Franz Müntefering nicht lassen kann, seinen einmal eingeschlagenen politischen Kurs nach rechts stur und unbelehrbar weiterzuverfolgen, ist ebenso so sicher wie das wohlige Sicheinrichten eines Peer Steinbrück als „ewiger Finanzminister“ an der Seite von Kanzlerin Angela Merkel. Den Vogel im politisch-satirischen Kabarett der SPD hat aber sicherlich Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier abgeschossen mit seinem aberwitzigen Traum von einer neoliberalen SPD als stärkster politischer Kraft im Bund und einigen Länderparlamenten. So viel öffentlich zur Schau gestellter Zweckoptimismus kommt dem „leidenschaftlichen Parteibürokraten“ Steinmeier bestimmt selbst irgendwie komisch vor. Macht aber nichts, denn auch als 18%-Partei werden die verbliebenen SPDler in einer „großen Koalition“ mit den Unionsparteien für einige Zeit noch als Mehrheitsbeschaffer gebraucht werden.