Der aufhaltsame Abstieg der Linkspartei

(pri) Viele Anhänger der Linken halten Sahra Wagenknechts Bündnis für glaubwürdiger links als die etablierte Restpartei.

Manchmal hat Erfolg etwas Verführerisches. Bei der Bundestagswahl 2009 gewann die gerade aus PDS und der SPD-Absplitterung WASG gebildete Linkspartei 11,9 Prozent der Zweitstimmen. Schon zuvor war sie auch in westdeutsche Landesparlamente (Bremen, Hessen, Niedersachsen, Hamburg, Saarland, Schleswig-Holstein) eingezogen und hatte im Osten (Mecklenburg-Vorpommern, Berlin, Brandenburg) mitregiert. Sie schien beim Wähler im vereinten Deutschland angekommen und fühlte sich bereit für mehr.

Folgerichtig begann eine Diskussion darüber, was man zum weiteren Mitregieren bis hin zum Bund an vermeintlichem Ballast abwerfen müsse und welche neuen Fragen künftig zu beantworten seien. Hinweise auf solche Orientierungssuche waren zum Beispiel der Streit um einen Artikel der Co-Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch in der Zeitung »Junge Welt« über »Wege zum Kommunismus« oder auch um ein Glückwunschschreiben von Lötzsch und Klaus Ernst, also beider Parteivorsitzenden, zum 85. Geburtstag der kubanischen Revolutionsikone Fidel Castro. Sowohl das Mitregieren der Linken in einigen Bundesländern als auch der Blick auf die Regierungsbänke im Bund erzwangen ganz offensichtlich Kompromisse, die an die Substanz der Linkspartei gingen. Das zeigten bald auch rückläufige Wahlergebnisse: 2012 und 2013 musste die Linke in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wieder den Landtag verlassen, in Berlin war sie schon 2011 aus dem Senat ausgeschieden.

Zwar traten Lötzsch und Ernst bereits 2012 vom Parteivorsitz zurück, aber als Warnsignal wurde diese Entwicklung offensichtlich nicht verstanden. Eher im Gegenteil, denn die neue Führung aus Katja Kipping und Bernd Riexinger forcierte das Setzen auf eine Regierungsfähigkeit der Linken durch zunehmende Orientierung auf die so genannte Bewegungslinke und andere Strömungen und Flügel der Partei, was vor allem Widerstand bei jenen auslöste, die die Linkspartei traditionell als Interessenvertreter der Arbeiter und anderer sozial Benachteiligter betrachteten und im Rückgang der Wählerstimmen bei der Bundestagswahl 2013 um 3,3 Prozent die Quittung für solchen Perspektivwechsel sahen.

Dieses Ergebnis konnte zwar durch die Tatsache überdeckt werden, dass die Linke erstmals zur drittstärksten Kraft im Bundestag wurde und es mit der SPD und den Grünen sogar eine rechnerische Mehrheit gab. Die SPD entschied sich jedoch für die Juniorpartnerschaft in der großen Koalition und machte die Linkspartei damit zum Oppositionsführer. Auch die 2014 erfolgende Wahl des Linken Bodo Ramelow zum Ministerpräsidenten Thüringens und folgende Wahlergebnisse in einigen Ländern schienen auf eine Fortsetzung des Erfolgsweges der Partei hinzudeuten.

Tatsächlich jedoch war die Umorientierung der Linken bereits weit fortgeschritten und führte nicht zuletzt durch die wachsende Zahl von Flüchtenden nach Europa zu verschärften Spannungen zwischen den Flügeln der Partei. Während die einen auf die Probleme, die die fremdenfeindliche Migrationspolitik der großen Koalition vor allem für die sozial Schwächeren mit sich brachte, verwiesen, betonten andere die Solidarität mit den Flüchtenden – eine verständliche und notwendige Reaktion, die jedoch verabsolutiert wurde und vor allem zu wenig die Defizite des Vereinigungsprozesses im Osten berücksichtigte. Darauf, dass hier 61 Prozent die ausländerfeindliche Pegida-Bewegung nicht für rechtslastig hielten und 21 Prozent der Anhänger der Linken sie sogar gut fanden, hatte die Linkspartei keine Antwort.

Als dann Angela Merkel im Sommer 2015 die Grenzen für Flüchtende offen hielt, aber zugleich – nicht zuletzt unter dem Druck des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer – zu wenig unternahm, um mit Hilfe der solidarischen Zivilgesellschaft schnelle und wirksame Integrationsmaßnahmen durchzusetzen, wurden auch mitregierende Linke in Ländern und Kommunen in Haftung für die dadurch wachsenden Probleme genommen. Viele Wähler wandten sich nun vor allem im Osten von der »Kümmerer«-Partei ab und der AfD zu; bereits bei den Bundestagswahlen 2017 errang letztere 12,6 Prozent der Zweitstimmen, die Linke nur 9,2 Prozent.

Zwar gaben Kipping und Riexinger 2021 ihre Spitzenämter auf, doch zu einer Kurskorrektur führte das nicht. In der Zeit der Corona-Pandemie hörte man von Politikern der Linkspartei wenig Kritisches zum restriktiven und intransparenten Handeln der Verantwortlichen in Bund und Ländern; Impfgegner jedoch wurden beinahe unisono in der rechten Ecke verortet. Und nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, der sich schnell zu einer Auseinandersetzung zwischen imperialistischen Mächten ausweitete, schlug sich die Führung der Linken mehrheitlich auf die Seite des westlichen Imperialismus, wo es doch Sache originärer linker Politik sein sollte, für eine schnelle Wiederherstellung des Friedens einzutreten.

Folglich spitzten sich die innerparteilichen Auseinandersetzungen zu. Auf der einen Seite bezog vor allem Sahra Wagenknecht zunehmend von der erklärten Parteilinie abweichende Standpunkte, zum anderen konnten die Bewegungslinken ihre personellen und damit auch politischen Positionen in der Parteiführung ausbauen. Die anhaltenden Streitigkeiten machten die Linke für Wähler mehr und mehr unattraktiv. Schon 2021 erhielt die Partei nur noch 4,9 Prozent der Zweitstimmen und konnte lediglich durch die Direktmandate von Gregor Gysi, Gesine Lötzsch (beide Berlin) und Sören Pellmann (Leipzig) in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen.

Den letzten Akt im Niedergangsprozess der Linken leitete Wagenknecht 2023 mit dem Parteiaustritt von zehn Abgeordneten und der gleichzeitigen Gründung eines Bündnisses unter ihrem Namen ein, das sich – wie die Rest-Linke – als Gruppe im Bundestag konstituierte. Dieser Schritt erwies sich inzwischen als Chance für die politische Linke in Deutschland, auch künftig eine konstruktive Rolle spielen zu können. Während die etablierte Linkspartei bei den Europawahlen mit 2,7 Prozent nur das Ergebnis einer Kleinpartei erzielte, kam das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) aus dem Stand auf 6,2 Prozent. Und bei den Kommunalwahlen in ostdeutschen Ländern erzielte es dort, wo es antrat, oft zweistellige Ergebnisse.

Es sind aber nicht vorrangig ehemalige AfD-Wähler, die Hoffnungen auf das BSW setzen, sondern – wie die Wählerwanderung bei der Europawahl ausweist – einstige SPD- und Linkspartei-Wähler. 580 000 BSW-Wähler hatten zuvor ihr Kreuz bei den Sozialdemokraten gemacht, 470 000 bei den Linken, hingegen nur 160 000 bei der AfD. Diese relativ geringe Attraktivität des BSW bei den Rechten wird dem Bündnis Sahra Wagenknecht paradoxerweise aus der Linkspartei vorgeworfen, aber vielleicht vermissten die Ex-Wähler von SPD und Linken bei diesen Parteien gerade das, was eigentlich einmal ihren Markenkern ausmachte – das konsequente Eintreten für soziale Sicherheit und für den Frieden. Jedenfalls scheinen diese Wähler das BSW als linke Alternative zur SPD und ebenso zur Linkspartei zu betrachten, was natürlich auch eine Botschaft an Sahra Wagenknecht und ihre Anhänger ist.

Denn das, was das BSW bisher programmatisch vorlegte, ist nicht mehr als ein Angebot. Ob und inwieweit es angenommen wird, entscheidet sich dann, wenn das Bündnis Sahra Wagenknecht liefert. Und bis dahin ist es noch ein weiter Weg, auf dem man nicht vergessen sollte, dass Erfolg etwas Verführerisches haben kann, genau darin aber auch Gefahren lauern.

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