Selbst jene, die viel in der Blogosphäre unterwegs sind, dürften noch nicht allzu häufig auf die End-Kürzel .vn und .kh gestoßen sein. Sie stehen für Vietnam und Kambodscha, Entwicklungsländer auch in der Internetnutzung. Zwar schießen inzwischen besonders in den Städten Internet-Cafés aus dem Boden wie dortzulande der Reis nach der Regenzeit, aber dennoch gibt es unter 1000 Vietnamesen statistisch keine 55 Nutzer der Netzes; in Kambodscha sind es gar nur elf. Sich also kundig zu machen über jene beiden Länder, die noch vor 30 oder 40 Jahren im Zentrum des Weltinteresses standen, ist als Blogger sehr mühselig; einmal mehr erweist sich, dass eben auch das world wide web – so hilfreich es ist – die eigene Anschauung nicht zu ersetzen vermag.
Hinzu kommt, dass das, was das Web über südostasiatische Staaten zu vermelden hat, oft hochgradig interessengesteuert ist – von welcher Seite auch immer. Dem ist nur mit Vielfalt zu begegnen. Wo die aber fehlt, macht auch die Blogosphäre bewusst, dass sie eben nicht mehr ist, als ein neues, zeitgemäßes Massenmedium, das nicht etwa die pure Wahrheit vermittelt, sondern das, was andere für eine solche halten oder zu einer solchen erklären – absichtlich oder ganz unbewusst. Soll heißen: Wenn ein Blogger den Computer ausschaltet und die Tastatur abdeckt, um einmal selbst ganz am anderen Ende der Welt nach den Dingen zu sehen, ist das allemal ein Gewinn, den kein stundenlanges nächtliches Surfen aufzuwiegen vermag. Einmal aber ist jede Reise zu Ende, und was macht der Blogger dann? Er schreibt natürlich auch seine ganz eigene Meinung auf und stellt sie ins Netz – und denkt, dies sei nun die Wahrheit, absichtlich oder ganz unbewusst.
Jenseits von .vn und .kh findet man an Oberlauf und im Delta des Mekong Menschen von ebenso großer Armut wie Gelassenheit, von immensem Fleiß und beinahe grenzenloser Dankbarkeit für jedes Zeichen von Anerkennung, von Freundlichkeit, die nicht nur Gestik und Mimik, sondern ihr Wesen prägt. Und das, obwohl die beiden Weltsysteme ihren blutigsten Konflikt gerade hier, weit weg von den Grenzen der eigenen Vormacht, austrugen – einen Stellvertreterkrieg, in dem die einen – die USA – versuchten, das kommunistische Vietnam »in die Steinzeit zurückzubomben«, was ihnen mit Hilfe von Napalm und Agent Orange auch weitgehend gelang. Während auf der anderen Seite die kommunistische Ideologie ihre giftigste Sumpfblüte Pol Pot trieb, die das eigene kambodschanische Volk faktisch auch in die Steinzeit zurückzuprügeln versuchte und dabei all jene mit der Spitzhacke in die Grube beförderte, die sich dagegen auflehnten (oder von denen man glaubte, sie würden sich dagegen auflehnen, zum Beispiel weil sie eine Brille trugen).
Dreißig Jahre nach Vietnamkrieg und Völkermord der Roten Khmer ist diese junge Vergangenheit in beiden Ländern durchaus noch lebendig, aber nicht mehr prägend. Dazu ist die Bevölkerung inzwischen zu jung. 25,9 Jahre ist das Durchschnittsalter in Vietnam, 20,6 Jahre gar nur in Kambodscha. 35 Prozent sind hier Kinder bis 14 Jahren, in Vietnam 27 Prozent, frühere Generationen wurden zu großen Teilen ausgelöscht, vor allem die Männer. Die meisten Vietnamesen und Kambodschaner haben also die Massaker vor 30 und mehr Jahren gar nicht mehr erlebt und heute ganz andere Sorgen. Sie wollen nach der langen Kriegsphase und internationaler Zurücksetzung den Anschluss an die Welt.
Sie wollen Arbeitsplätze, und sind traditionell erfindungsreich, sie sich selbst aufzubauen. Die berühmten Garagen á la Bill Gates – in Ho-Chi-Minh-Stadt und Phnom Penh findet man sie in jeder Straße reihenweise; da wird geschneidert, ein Motor repariert, gewebt, frisiert, Schuhe besohlt, gekocht, Gemüse verkauft – oder Seidentücher, T-Shirts, Morgenmäntel und Schlafanzüge, einige Laptops zum Surfen aufgestellt, Baumaterial angeboten … Kein Gewerbe, das nicht vertreten ist – in der Regel im Familienbetrieb, denn die Familie wohnt oben im Haus in mehreren Generationen, und jeder hat seinen Beitrag zu leisten.
Und sie wollen mobil sein. Die Städte quellen fast über von kleinen Mopeds bis mittleren Motorrädern, mit denen alles nur Denkbare transportiert wird und wozu die Gefährte meist japanischer Produktion phantasievoll für fast jeden Gebrauch umgebaut werden. Noch vor zehn Jahren konnte man selbst in Peking vor allem Geschwader von Radfahrern sehen, die die breiten, gerade erst mit dem Bau von Hochhäusern geschaffenen Boulevards fast ausschließlich bevölkerten. Heute werden in Ho-Chi-Minh-Stadt die Fahrräder schon von den wichtigsten Straßen verbannt, weil dort die »Hondas« das Knattern haben und die Drahtesel schon zur Behinderung für sie und die noch wenigen, aber zunehmenden Autos werden.
Natürlich ist oft noch mehr der Wunsch der Vater des Gedanken, vor allem auf dem Lande, wo die alten Strukturen zäh sind. Insgesamt jedoch lassen die kommunistischen Regierungen in beiden Ländern der Privatinitiative viel Raum, geben zwar die Kontrolle nicht aus der Hand – aber am langen Zügel. Internationale Konzerne, die gern mehr Einfluss hätten, stoßen hingegen wohl nicht zu Unrecht auf großes Misstrauen der kommunistischen Führungen. Immerhin konnten sie auf dem jüngsten ASEAN-Gipfel in Thailand zu Recht darauf verweisen, dass sie durch ihr zurückhaltendes Agieren auf den internationalen Finanzmärkten die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise bislang in Grenzen zu halten vermochten; für die »Tigerstaaten« Thailand und Singapur sieht es damit schon anders aus.
Angesichts der Dynamik von Wirtschaftsprozessen in Fernost, die natürlich mit gewaltigen Risiken und schmerzlichen, auch tödlichen Nebenwirkungen für viele verbunden ist, mutet das hiesige Geschehen wie ein schwerfälliges Perpetuum mobile an. Wie vor drei Wochen ist die Regierung immer noch dabei, gegen alle von ihr sonst für heilig erklärten Marktgesetze einen offensichtlich überflüssig gewordenen Autokonzern mit Steuergeldern vor dem Ende zu bewahren, nur weil sie nicht in der Lage war, rechtzeitig Weichen für neue, zeitgemäße Beschäftigung – einschließlich eines innovativen Konzeptes für ein künftiges Verhältnis von Arbeit und Freizeit – zu stellen und erst recht nicht in der Lage ist, kurzfristig für eine sozial verträgliche Zukunft ehemaliger Opel-Arbeiter ihren Beitrag zu leisten. Beides ständige Aufgaben von Politik, mit denen sie kläglich versagte. Wie vor drei Wochen treibt uns auch noch immer ein katholischer Bischof namens Willamson um, auch wenn derzeit die zwar nicht mit der Sache, doch durchaus im Geiste vergleichbare Erika Steinbach alles tut, ihm den Rang bei den Medien abzulaufen. Eins aber hat sich doch geändert – unser Wirftschaftsminister. Statt des ächzenden Müllermeisters Glos haben wir jetzt einen, der vom Namen her wie mit seinem Auftreten an einen mittelalterlichen bayerischen Duodezfürsten erinnert, das aber immer lebhaft. Welch gewaltiger Fortschritt!
Der weitgehend ortsgebundene User weiß aber den „guten Gesang“ in bestimmten Blogs um so mehr zu schätzen.